1.09.2011

Kapitel 7: Schlickrutscher

Anna und Linus kommen über den langen Kapitän. So heißt der schmale Sandstrandstreifen, der sich im Vogelschutzgebiet an der Wasserkante Richtung Wittdün zieht. Sie sind den ganzen weiten Weg gelaufen, immer an der Brandung lang. Die kleinen Gischtkronen kriechen wie Landungsboote auf die Spitze des Langen Kapitäns zu. Unermüdlich rollen sie das Ufer hoch, prallen beim Zurückfallen mit den nachfolgenden Wellen zusammen.

Die große Bärin liebt es wenn der Wind an den Haaren zieht, die Luft leicht salzig schmeckt und nur die Seevögel kreischen. Nur die Vögel ... fast: Denn dazwischen kräht die ganze Zeit der größte Amrumentdecker der nördlichen Halbkugel. „Hier wird morgen ein Piratenausguck gebaut.“ Wenig später: „ Das Meer stinkt wie ein Fischladen, wenn der ganze grüne Fusselkram herumliegt.“ „Das ist Seetang!“ Dann läuft der kleine Bär mit fuchtelnden Armen in die Möwenkolonie rein, die vor Ihnen am Ufersaum Rast macht. Träge erheben sich die Vögel und ziehen im weite Bogen um die beide Bären herum, um wieder hinter ihnen am Strand zu landen. Es gibt nur ein wenig Kreischen und ein paar Hüpfer, bis der Schwarm sich wieder sortiert hat. Doch da kommt wieder der laute Bär zurück. Also muss die Kolonie noch eine Bucht weiter fliegen. Anna ist erstaunt, woher Linus nur die Kraft nimmt. Er ist doch schon den ganzen Tag auf den kurzen Beinen.

Ein zartes Gespinst aus Taufäden mit Tangresten rollt vom Wind getrieben über den Strand. Wie so ein winziger Dornbusch im Wilden Westen. Linus zupft an Annas Jacke, als er vor Ihnen eine weitere Gruppe Seevögel mit schwarzen Köpfen und schwarzen Schwanzspitzen entdeckt. Sie trippeln nervös von einem Bein auf das andere nahe der Wasserkante. „Guck mal, die Vögel müssen mal. Die halten das ja kaum noch aus.“ Er sieht sich um: „Aber hier gibt es wohl kein Vogelklo?“ Er zwinkert Anna zu: „Die könnten doch auch in das Meer gehen, ein bisschen umher schwimmen und heimlich pinkeln. Das macht man im Schwimmbad doch auch so.“ Die große Bärin schüttelt den Kopf: „Das sind Seeschwalben und die durchkämmen den Sand und scheuchen kleine Krebse und Würmer auf.“

Dann haben sie die Spitze des langen Kapitäns erreicht. Wittdün ist jetzt schon ganz nah, aber trockenen Fusses geht es hier nicht weiter. Die beiden müssen beide noch die Schlickkuhle zwischen dem Strandkorbstrand des Ortes und der vorderen Sandbank überqueren. Und ein Matschwatt ist es auch nur, weil der Mond weder Durst hatte und gerade Ebbe ist. Anna und Linus haben Mühe mit dem schweren Schlick, weil der Boden nachgibt und die Schuhe einsinken. Er will sie gar nicht hergeben.

Linus begeistert. Die Matschpampe spritzt hoch, wenn man reinspringt. Anna hat recht, dass man sich dabei die Kleidung bespritzt. Sie ist schon ganz besprenkelt. Er passt auf, dass beim Einsinken die Matsche nicht so hoch steigt, dass sie durch die Lüftungslöcher in den Schuhen reinläuft. Die Löcher sind darin, damit er keine Stinkepfoten bekommt.

Anna bleibt stehen und gleich stecken und balanciert auf einem Bein, um den steckengebliebenen Schuh zu befreien. Hoffentlich fällt sie nicht um und landet auf dem Po. Sie versucht das Gleichgewicht zu halten und versucht mit der Tatze nach dem Schuh zu haschen. Als sie ihn greifen kann. Hängt er im Schlick so fest, dass er sich nicht rührt. Und der kleine Bär zerrt an ihren Sachen, statt zu helfen. Linus soll nicht so um sie herumhüpfen. „Bleib bitte bei mir, dass ich mich aufstützen kann.“ Anna hat Angst, dass sie das nicht auf einem Bein halten kann und sich mit ihrer nackten Pfote im Schlick abstützen muss. Dann quitscht die dunkle Pampe sicher sofort durch die Tatzen und sitzt im Fell. Und sie muss mit bloßen Pfoten durch den Matsch, weil sie schmutzig nicht in den Schuh schlüpfen kann. Wenn sie ihn erst mal wieder befreit hätte. Endlich hält Linus still und sie kann nach dem festsitzenden Schuh angeln. Es gibt ein saugendes Geräusch, als der Schuh endlich rauskommt. Linus würde das gerne noch einmal hören. Werden die Schuhe wieder sauber? Das nächste Mal gehen Linus und Anna mit Gummistiefeln. Hoffentlich bleiben die auch stecken. Zum Glück sieht Anna jetzt, was für ein Held Linus ist. Weil es doof ist wenn man ein Held ist und es keiner sieht.

Lisa ist mit Marie und Lausebär und Howard von der Wasserkante direkt an der Pfahlreihe zurückgelaufen. Marie war auch überhaupt nicht müde, sie hat ja vorher geschlafen. Trotzdem darf Marie auf Howard reiten. Lisa ist schon müde, aber die Bärin muss durchhalten und selber laufen. Sie ist ja schon ein großes Mädchen. Nur Kaninchen wird von Lausebär getragen, der auch beide Rucksäcke geschultert hat. Damit ist er hcoh bepackt, obwohl die Tragesäcke zum Glück jetzt viel leichter als am Morgen sind.

Als sie bei der Dünenkante mit der Aussichtplattform bei Köhns Übergang ankommen, machen sie Pause, um auf Anna und Linus zu warten, die ja einen viel weiteren Weg haben. Die beiden kleine Mädchen haben hier schnell viel zu tun.

" Hallo!" das ältere Ehepaar im gemeinsamen Beige guckt erstaunt nach unten. „Hallo!“ Die Mutter mit Kinderwagen auf dem Bohlenweg lächelt zurück. "Hallo." Marie sitzt an der untersten Holzbohle bei Köhns Übergang und begrüßt alle vorbeikommenden Kurgäste. „Hallo.“
Lisa spielt inzwischen mit Kaninchen an der Dünenkante Verstecken in den Reisigzäunen. Da kann sich ein kleines Schlappohr gut verbergen. Auch wenn Lisa einfach über den Zaun gucken kann. Und d
ie beiden Jungs liegen matt im Sand und erholen sich von der Schlepperei des Tages.

Endlich sehen sie zwei kleine Punkte, die sich langsam nähern. Einer, der zielstrebig auf die wartenden Bären zukommt und ein kleinerer, der aufgeregt um den ersten umherspringt.

Marie ruft und winkt. „Huhuu!“ Die beiden scheinen es nicht zu bemerken. „Hallooooo Aaaaaaaaannna!“ Von der Aussichtsplattform haben sie einen weiten Blick und sie sehen die beiden schon lange, bevor sie in Rufweite sind. Marie ruft trotzdem. „Huhuuu Liinnnuuus!“ Ihre Rufweite ist noch geringer, weil der Wind jedes Wort wegträgt. Marie hat genug und klettert mit Lausebär die quergelegten Bohlen im Sand runter. Sie laufen den beiden entgegen. Lisa trottet mit Howard und Kaninchen hinterher. Beim ersten Moderloch guckt Marie rein und rümpft die Nase: „Ihh, Maaaaaaatsch.“

„Und Linus, wie war´s?“ Howard schiebt die Kappe in den Nacken, bevor sich zum kleinen Bären runterbeugt. Dessen Augen glänzen: „Echt cool! Der Modder stinkt und klebt und geht auch ganz schwer ab. Und da liegen so Würmer rum. Na ja, die Würmer sind unten im Schlick, aber den Sand, den die aus ihren Löchern kacken, der sieht auch wie die Würmer aus.“

Howard erinnert sich an eine Fernsehsendung, die er über das Watt gesehen hat. „Die Wattwürmer, also alle zusammen, fressen innerhalb eines Jahres den gesamten Wattboden einmal auf und scheiden ihn wieder aus. Alles hier ist einmal ungewälzt worden. Der ganze Matsch hier war schon mal in einem Wurm drin.“ „Das alles ist hier von Würmern ausgekackt?“ Linus ist begeistert. „Wir laufen auf lauter Würmerscheiße rum?“ Er springt mit beiden Füßen auf den Strand, dass der Sand nur so davon spritzt. Lisa dreht sich weg, damit sie nichts abbekommt: „Ihh, wie eklig.“ Sie will hier noch nicht mal mehr rumlaufen. Hoffentlich geht es morgen wieder ganz nach vorn an den Strand. Das ist da sicher noch richtiger Sand und nicht so Wurmgekacke wie hier.

Linus dagegen weiß noch viel mehr vom Matschwatt zu berichten. „Da draußen ist das noch viel, viel matschiger als hier und man sinkt immer ein, wenn man darauf rumläuft. Und manchmal auch so richtig tief. Dann bleibt man auch stecken, das sieht dann ganz lustig aus. Frag Anna.“ Anna funkelt den kleinen Bären an. Unbeirrt fährt Linus fort „Bestimmt gibt es Löcher im Watt, die saugen einen ganzen Bären weg. Und natürlich kleine Schwestern,“ ergänzt er und nickt bedeutungsvoll den beiden kleinen Bärinnen zu. „Voll gefährlich.“ Einen kaputten Krebs mit Scheren haben sie gesehen – eigentlich nur die Schale. Der Rest war wohl schon im Bauch einer Möwe. Und anderes totes Meereszeug lag auch rum.

„Die Quallen dort sind echt eklig, ganz superglibbrig. Viel glitschiger als vorne am Strand. Das nächste Mal nehme ich meine Schaufel mit und mache richtigen Quallenweitwurf!“ Er blinzelt Lisa an. „Die Schippe bricht auch nicht kaputt. Lisa, soweit kannste gar nicht laufen.“

Das ist erst der Anfang für noch mehr Schlickpläne vom weltbesten Sand- und Schlickrutscher: Man müsste Schlickkanäle graben. Oder besser ein Tagebau für Matsch. Und alles in Plastiktüten abfüllen, damit man immer so ein tolle Matschbombe hat. Das heißt dann Schlickerkram. Die wirft man dem anderen mitten in die Fresse. Die Matschpampe ist als Schlammpackung im Gesicht dann ganz gesund. „Man tut also eigentlich was Gutes,“ wirft Howard ein. „Genau!“ sagt Linus und kann gar nicht erwarten, wieder in den Schlick zu kommen. Aber garantiert ohne Lisa. Sie beschließt mit Kaninchen, lieber auch demnächst einen weiten Bogen um den Matsch zu machen.

Linus kann auf seine Schwester heute noch gut verzichten. Er will lieber mit den beiden großen Bären noch zum Anleger, die Fähren kontrollieren. Anna wundert sich wieder über den unermüdlichen Amrumentdecker. Seit sie auf der Insel sind, ist der kleine Bär ist wie aufgezogen.

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