1.09.2011

Der Titel - die Langfassung

Inselzeit. Das passt.“ Anna hat das schon mal mit ihrem Fischkugelschreiber hingeschrieben. Zufrieden legt die große Bärin das Reiseandenken, das ihr wegen der schmeichelnden Form gefallen hat, beiseite. Marie greift schon danach, weil der Schaft so vorwitzig blau und türkis in der Sonne glitzert. Doch ihr großer Bruder ist schneller. „Das will doch keiner lesen,“ erhebt Lausebär Einspruch und setzt den Stift an. „Da muss ein richtiger Titel her. So etwas wie: Die salzigen Tage des Sommers.“ Und - zack - geht ein kräftiger Strich durch Annas 'Inselzeit'. Doch bevor der Stift dafür die salzigen Ta...schreiben kann: „So klingt es immer noch viel zu dröge,“ mault Howard. „Strandpiraten auf Zeit. Das wird ein Reißer.“ Linus vermisst das Abenteuer und außerdem hätte er gerne noch extra Freibeuter dabei ... oder noch besser: „Die Rückkehr von Grobis goldene Husaren.“ „Das hat doch nichts mit dem Inhalt zu tun,“ Anna geht das jetzt zu weit. Es ist doch nur eine kleine Insel vor der Küste. Der kleine Bär beharrt auf den wilden Reiterhorden: „Das merken die Leser doch erst viel später. Und dann ist es auch schon viel zu spät.“ Lisa schüttelt den Kopf. Wenn sie endlich jemand fragen würde, es müsste 'Unter Brüdern' heißen.

Was man wissen sollte, bevor es losgeht

Statt einer Inhaltsangabe muss Lisa hier etwas klarstellen. Denn alle lesen immer erst den Text auf der Rückseite eines Buches, bevor sie drinnen weiterlesen. Deshalb, bevor es losgeht, vorab ein paar wichtige Dinge:
Sie, Lisa, ist eigentlich die wichtigste Person der ganzen Geschichte. Die kleine Bärin kann zwar noch nicht selber lesen, aber weiß doch schon eine ganze Menge. Und wenn sie nicht aufpasst, kommt immer alles durcheinander.


Ihr hilft Kaninchen, ihr stilles Kuscheltier, das immer dabei ist und so lange Ohren hat. Die braucht es auch, weil es genau zuhören und noch viel lernen muss.



Aber nicht unbedingt von Lisas fast gleich altem Bruder Linus, der ein kleiner Besserwisser ist. Deshalb mischt er sich überall vorlaut ein. Und ist immer ein weltbester „Irgendwas“. Auf jeden Fall ist er eine weltbeste Nervensäge.


Ihr älterer Bruder Lausebär heißt nur so. Denn eigentlich ist er so vernünftig, wie ein großer Junge nur sein kann. Nur leider muss die kleine Bärin immer wieder feststellen, dass große Brüder keine Ahnung von kleinen Schwestern haben und dabei so schwer von Begriff sind.




Dann ist da noch ihre große Schwester Anna. Die schreibt sich oft lange Listen, weil sie doch alles organisieren muss. Große Schwestern sind nämlich dafür gemacht, rechtzeitig da zu sein und zu helfen. Nur schaffen sie das nicht immer.



Kleinere Schwestern dagegen müssen erst mal wachsen. Um selber große Schwestern werden zu können. Marie ist Lisas kleinere Schwester. Sie hat noch keine Ahnung von gar nichts und kann froh sein, dass sie wenigstens ihre Windeln los ist. Natürlich kann sie auch nicht lesen, plappert aber schon eifrig mit. Und wenn sie still ist, klappert ihr Holzanhänger.

Nun fehlt noch Howard. Der große Bärenjunge hat die ganze Zeit, auch wenn er schlafen geht, eine Kappe auf dem Kopf. Er ist der beste Freund von Lausebär und fast so vernünftig. Weil er und Lisas großer Bruder immer alles zusammen machen, gehört er eigentlich schon zur Familie. Und er kennt wirklich tolle Geschichten. Vielleicht sind sie auch beinahe wahr.

So, jetzt ist Lisa fertig und die Geschichte kann beginnen...

Kapitel 1: Große Erwartungen

„Juhuu! Jetzt geht´s los.“
Kleine Füße trappeln über das Parkett.
„Es geht los. Es geht looos. Es geht endlich looooos.“
Schon seit Tagen wartet Lisa auf die große Reise. Seit sie gehört hat, dass es dieses Jahr auf eine Nordseeinsel geht, kann sie es kaum aushalten. Jeden Tag die gleichen Fragen: „Wann fahren wir?“ „Soll ich schon mal packen?“ „Wieso müssen wir warten?“ „Kann man das Zimmer nicht schon früher haben?“ „Was heißt buchen? Heißt das wegen der Bäume so? Kann man Zimmer auch fichten oder tannen?“ „Wie, das Zimmer ist jetzt noch belegt? Vielleicht wollen die Zimmergäste schon weg und trauen sich nur nicht. Ruf doch da mal an.“
Und jeden Tag soll sie warten. Wie blöd!




















Aber jetzt hat sie einen Koffer gesehen. Und Koffer bedeutet Urlaub. Also: „Es geheeet loohoooos! Jippiih jeheh ...“
Mit Indianergeheul rennt Lisa durch die Wohnung, bis sie Lausebär an der Werkzeugkiste trifft. Er ordnet Werkzeug und verpackt Nägel nach Größen in kleine Plastikkästen. Sicher kennt ihr großer Bruder die wichtigste Nachricht des Tages noch nicht: „Es geht los. Wir fahren auf die Insel.“
Bevor Lausebär etwas dazu sagen kann, ist die kleine Bärin schon weiter. Kopfschüttelnd sortiert er weiter Nägel und sucht dann die Seilspanner.















Sein bester Freund Howard wollte ihm eigentlich helfen. Aber kaum hat er festgestellt, dass Heringe fehlen, ist er los, sie zu besorgen.
„Heringe haben die an der Küste doch selber. Kaninchen, wieso muss man seine Fische mitbringen?“ Doch Kaninchen, das an Lisas Pfote durch die Wohnung fliegt, schweigt. Und Lisa hat jetzt keine Zeit, die Frage zu klären. Denn es wird ein richtiger Bärenurlaub mit allen. Mit Linus und Lausebär. Mit Anna, Marie und Howard. Natürlich mit Kaninchen. Und mittendrin sie. Also sputen, endlich wird gepackt.
„Die Jacke muss mit und die Sandförmchen. Die Hemden, die Schaufel, ein Badetuch und... Ach am besten alles.“ Lisa hängt kopfüber im Schrank und wühlt in ihren Sachen. Stück für Stück zerrt sie heraus und wirft es hinter sich. Sie geht an die Spielkiste und stapelt deren Inhalt auf den neu entstandenen Berg in der Zimmermitte. Kaninchen sitzt stumm neben dem Durcheinander. Von Zeit zu Zeit wirft Lisa ein Kleidungsstück so schwungvoll auf den Haufen, dass das Schlappohr darunter begraben wird. Dann wühlt Lisa das Ärmste wieder hervor und setzt es wieder ordentlich hin.









Kaninchen beklagt sich nicht. Kaninchen sagt nie viel, da es das Kuscheltier der kleinen Bärin ist. Dafür sagt Lausebär immer, das es nur ein Beinah-Kaninchen ist, weil es viel zu lange Ohren hat. Eben wie ein Hase. Vielleicht sind sie auch nur so lang geworden, weil Lisa ihre Schmusefreundin immer an den Ohren hinter sich herzieht. Auf jeden Fall hält Lisa Kaninchen immer die langen Lauscher zu, wenn Lausebär das sagt. Denn sonst weiß das kleine Schlappohr am Ende überhaupt nicht mehr, was es eigentlich ist. Dabei ist es doch Kaninchen. Das immer überall dabei ist.
„Du kommst natürlich mit an den Strand. Dann brauchst du auch ein eigenes Badehandtuch.“ Kaninchen bleibt stumm. Aber das macht nichts, denn Lisa plappert ununterbrochen weiter, während sie sucht.


















„Der Fischli, der Windbeutel, der muss auch mit an den Strand. Da bekommt er so richtig viel Wind in den Bauch.“ Schnell zuppelt sie den Windsack aus der Ecke mit den Gartensachen. Natürlich verheddert sich der lange Holzstiel. Ein kurzer Ruck und er ist frei. Nur ihre Gartenschürze ist mitgekommen und hängt mit einem Zipfel noch am Stab. „Die Schürze kann hier bleiben. Aber vielleicht brauchen wir die Harke? Was meinst du, Kaninchen?“ Die Harke also auf den Haufen. Hastig glättet die Bärin noch den verknitterten Fischschwanz am Windsack. Und stopft die Schürze wieder in die Ecke. Das kann doch nicht alles sein. Also weiter.
Schließlich ist der Berg mindestens bärenhoch und Lisa findet keinen Nachschub.
„Das ist jetzt wohl das Wichtigste. Aber weniger geht auch nicht.“
Sie packt mit beiden Pfoten in den Haufen und nimmt so viele Kleider und Spielzeuge, wie sie mit ihren Tatzen tragen kann. Eine Spur von verknüllten Pullovern und Pixi-Büchern hinterlassend trägt sie ihre Beute ins Wohnzimmer. Hier steht aufgeklappt der große Koffer.











Davor stemmt ihre große Schwester Anna die Pfoten in die Seiten und atmet noch mal tief durch. Wie soll da alles rein passen? Sechs Bären haben ja so viel Gepäck. Alle werden sich einschränken müssen. Aber ein Urlaub an der Nordsee hat seine Tücken. Man weiß nie im Voraus, wie das Wetter wird. Der altbekannte Ratschlag, dass es kein schlechtes Wetter gibt, nur falsche Kleidung, hilft nicht wirklich, ihr Problem zu lösen. Denn es bedeutet, dass sie für Sonne und Regen, für kühle Abende, brütende Hitze, sengende Sonne und besonders gegen den allgegenwärtigen Wind für sechs Bären die nötige Kleidung einpacken muss. Dann kommt noch das Spielzeug für die Kleinen. Dazu wollen Howard und Lausebär jetzt auch zusätzlich jede Menge schweres Werkzeug mitnehmen. Wozu brauchen sie überhaupt den ganzen Baukram? Sie hat doch für alle ein richtiges Zimmer gemietet mit festen Wänden, Kochnische und Bad. Und die beiden packen, als müssten sie die Insel noch erschließen und alles neu bauen. Aber seit Tagen kann man mit den Jungens nicht mehr richtig reden. Also, das Werkzeug muss mit.
Sie wird sich eine Packliste schreiben. Mit einer Liste wird es immer einfacher, den Überblick zu behalten. Und ändern kann sie die Liste jederzeit.
Eine riesige, grüne Schnauze schiebt
sich in Annas Blickfeld.



















„Festus freut sich schon ganz doll auf das Meer“, Linus hält ihr sein aufgeblasenes Gummikrokodil vors Gesicht. „Ich werde mit ihm auf den Wellen reiten.“
Seit fest steht, dass es an die See geht, hält der kleine Bär seinen grünen Kumpel unter Luft. Das kostet jetzt zuviel Platz.
„Wenn du Festus mitnehmen willst, müssen wir ihn platt machen.“ Anna schaut mit festem Blick auf Linus, der am Ende des doppelt so großen Reptils hängt. „Keine Panik!“ Schon nestelt Linus am Luftventil des Blastiers herum und beginnt die Luft raus zu pressen. Zum Schluss springt er wild auf dem erschlafften Krokodil herum, bevor er Anna den kläglichen Rest übergibt.
„Hier! Und wenn du den Koffer nicht zukriegst, kann ich auch darauf rumhüpfen.“ Dabei grinst Linus sie so von unten an, dass er wohl enttäuscht wäre, wenn Anna alles ohne Pressen und Stauchen verpacken könnte.

In diesem Moment knallt Lisa die erste Ladung auf den Boden neben Anna.
„Das sind meine Sachen! Den Rest hole ich gleich. Und dann fahren wir los.“
Bevor Anna sie bremsen kann, trappeln die kleinen Bärenpfoten wieder über das Parkett. Zwischen atemlosen „Das ist es jetzt...na fast“ und „Ich muss ja auch...“ oder „Es fehlt nur noch...“ wächst der Berg neben dem Koffer.
Linus sieht mit Anna dem Entstehen eines neuen Mittelgebirges in ihrem Wohnzimmer zu. „Wenn Lisa das alles mitnehmen darf, will ich aber auch meine Autos und die Fähre einpacken.“
Anna sieht jede Hoffnung schwinden. Eigentlich wollte sie keinen Umzug organisieren. Sie muss Lisa bremsen. Und um den kleinen Bären abzulenken: „Linus, schau doch bitte mal nach Marie. Die ist so verdächtig ruhig.“
Glück gehabt, es klappt: Linus kümmert sich um die kleinste Schwester. Er will nur einen kleinen Umweg über die Spielkiste machen.













„So, das ist jetzt wirklich alles. Und Kaninchen ist auch schon hier.“ Lisa atmet nach der vielen Lauferei tief durch und lächelt Anna an.
„Also rein mit den Klamotten, damit wir endlich loskommen. Schnell Anna, hol deine Zahnbürste. Sonst kommen wir erst an, wenn es schon dunkel ist.“
„Das ist viel zuviel, Lisa.“ Anna blickt in ein verständnisloses Bärengesicht. „Wir müssen uns alle beschränken. Für jeden von uns ist das schon so viel Kleidung und natürlich muss ich noch die Strandausstattung dazu stopfen. Das alles in einen einzigen Koffer. Deshalb fange ich auch schon heute mit dem Packen an. Wenn ich - wider Erwarten - alles rein bekomme, geben wir den Koffer morgen am Bahnhof beim Kurierdienst der Bahn auf. Er reist voraus und ist schon da, wenn wir übermorgen losfahren.“
„Übermorgen? Wir fahren erst übermorgen?“
„Seit Tagen sage ich dir, wir fahren am Donnerstag.“
„Das ist doch noch so lange.“
„Ich kann es nicht ändern.“
Lisa zieht einen Flunsch. Nach einer kurzen Pause stellt sie sich auf die neue Situation ein. „Na, hier sind jedenfalls die Sachen, die ich mitnehmen muss.“
„Und ich hab es dir schon gesagt: Soviel geht einfach nicht“, Anna bemüht sich, die Ruhe zu bewahren. Dennoch wird ihr Ton schon etwas schärfer. „Am besten räumst du alles wieder zurück. Ich hole mir dann das, was du wirklich brauchst.“
„Ach Anna, das ist doch blöd. Das muss alles mit auf die Insel. Du wirst alle Sachen nur wieder hierher holen müssen.“ Mit großer Geste entscheidet die Kleine: „Am besten lasse ich es so, wie es ist. Du packst den Koffer und den schnitzigen Rest wieder in den Schrank.“













Mit Kaninchen im Schlepptau rennt Lisa los. Wenn sie erst übermorgen verreisen, hat ja sie noch viel Zeit für andere wichtige Dinge.
„Lisaaa, räum´ deinen Krempel weg!“

Zu spät, kleine Füße trappeln über das Parkett.

Kapitel 2: Das nautische Genie

Der Wind zieht an den kurzen Haaren von Lisas sandfarbenen Fell.

Auf dem Aussichtsdeck der Fähre weht eine sanfte Brise. Der Wind trägt auch die Möwen, die der Fähre aus dem Hafen folgen. Mühelos, fast ohne Flügelschlag, tänzeln sie über die weißen Gischtkronen, die von der „Nordfriesland“ in die blaue See gezogen werden. Der weiße Stahlkoloss rumpelt und summt, als er unbeirrt durch die Nordsee stapft. Der Hafen von Dagebüll wird am Horizont immer kleiner.

Bald sind sie auf der Insel. Die heißt Amrum. Da hat Lisa genau aufgepasst. Nun wird die Reise ganz großartig. Sie kann nicht mehr stillsitzen.

Das musste sie doch schon die ganze Fahrt. Die war richtig doof. Nichts durfte sie machen. Überall, wo es spannend aussah, war keine Zeit. Ständig mussten sie weiter. Wenn die kleine Bärin etwas haben wollte, war es immer zu teuer.

Das ist zum Glück vorbei. Jetzt will sie alles sehen. Überall die Bärenschnauze reinstecken. Auf der Fähre fängt sie schon mal an. Sie springt auf und läuft über den Metallboden zum Geländer.

Lausebär kommt hinterher. Sie soll acht geben, dass sie nicht ins Meer fällt. Wenn jemand über Bord gegangen ist, braucht ein Schiff irrsinnig lange, bis es gestoppt hat. Und es muss erst noch umkehren, um den Unglücklichen aufzufischen.

Klar, großer Bruder, sie passt schon auf. Zur Sicherheit stopft sie Kaninchen tiefer in die Tasche ihres Regenmantels.

„Kaninchen, dass du mir ja nicht vom Schiff fällst! Weil die hier ganz schlechte Bremsen haben. Und dann müssen sie erst noch fischen.“ Kaninchen passt auch auf.

Der Ältere bleibt neben Lisa an der Reling stehen.

„Lausebär, wo wird hier das Fernsehen gemacht?“

„Welches Fernsehen?“

„Du hast gesagt, es ist eine WDR-Fähre. Also machen die hier doch irgendwo das Fernsehprogramm.“ Lausebär lacht. WDR heißt hier an der Küste die Firma, der die Schiffe gehören. Genauer ist es die „Wyker Dampfschifffahrts Reederei“ und die hat nichts mit dem „Westdeutschen Rundfunk“ zu tun. Die haben nur dieselbe Abkürzung.

„Dann kommt man doch immer durcheinander mit den Fernsehfähren. Und dampfen tun sie auch nicht, nur brummen und stinken.“ Lisa mag klare Verhältnisse und hier ist alles so verwirrend. Daran ändert auch die Erklärung ihres großen Bruders wenig, dass es - als die Reederei einen Namen suchte - noch dampfende Schiffe gab. Heute würden sie wahrscheinlich eine WBR gründen, eine „Wyker Brummschiff-Reederei“.

Anna hat es sich mit Marie auf einer Bank gemütlich gemacht. Die große Schwester kann ein wenig ausspannen. Endlich muss sie diesen Flohzirkus nicht zusammenhalten oder antreiben. Auf dem Schiff können sich alle beschäftigen und keiner geht verloren. Hoffentlich.

Von der Bank aus haben die beiden Bärinnen einen großartigen Überblick. Das obere Aussichtsdeck befindet sich mindestens drei Stockwerke über dem Wasser. Hinter ihnen markiert eine endlose Reihe von Windrädern den Küstensaum. Links sind kleine Inseln wie Perlen einer Kette aufgereiht. Das sind die Halligen, an denen sie eine nach der anderen vorbeifahren. Die großen Inseln liegen voraus in der Ferne. Die hinteren können sie nur erahnen, da sie noch im Dunst verborgen sind.

Alles gleißt und leuchtet. Die Farben machen es einfach und klar. Die Fähre ist weiß, die Schornsteine gelb und das Deck grün. Die Möwen über ihnen trennen sich strahlendhell vom blauem Himmel. Vereinzelt stehen weiße Schäfchenwolken. Ein dunkleres Blau mit einem Hauch von Grün, das ist das Meer. Aber am Horizont verschmelzen Luft und Wasser miteinander ohne sichtbare Grenze.

Anna streckt sich. Welch eine Wohltat. Sie knabbert am mitgebrachten Honigkuchen, während sie der Jüngsten aus einem Faltblatt der WDR vorliest:

„Amrum ist die drittgrößte nordfriesische Insel. Sie liegt zwischen Sylt und Föhr. Ihre Größe beträgt 20 Quadratkilometer und mit dem Kniepsand – der großen Dünenlandschaft im Westen - sogar 29 Quadratkilometer. Sie hat fünf Orte: Norddorf, Nebel, Süddorf, Steenodde und Wittdün. Die 2.300 Einwohnern leben weitgehend vom Fremdenverkehr. 12.000 Gästebetten . . .“ Weiter kommt Anna nicht. Marie interessiert sich nicht für Gästebetten oder Fremdenverkehr. Sie will von Anna ganz andere Dinge über Amrum wissen.

„Gibt es da Sand? Auch Muscheln? Und Delfine?“ Marie liebt diesen Sommer Delfine.

Anna nimmt ihre Schnauze aus dem Faltblatt.

„Nun, Sand und Muscheln sehen wir auf Amrum auf jeden Fall. Delfine nicht. Aber dafür vielleicht Robben. Die leben auch die meiste Zeit im Wasser und mögen Fisch.“

Marie will jetzt sofort eine Robbe sehen und Anna blättert eifrig im Prospekt. Bevor sie ein Foto vom einem Seehund oder wenigstens einem Heuler findet, hat Marie was Neues entdeckt.

„Lieber die Karte gucken, wie das hier aussieht.“

Gemeinsam studieren sie die Lage von Inseln und Halligen zur Küste. Das heißt, Anna studiert die Lage, Marie ist schon längst weiter.

„Ich will Honigkuchen.“ Leicht verwundert gibt ihr die große Schwester ein Stück in die Pfote. Schon will Marie aufspringen. Der Holzanhänger an ihrer Jacke klappert aufgeregt hin und her. Es ist heute die Grinsekatze, die am Kragen der Kleinsten hängt.

„Marie, was hast du vor?“

„Ich will die weißen Vögel füttern.“ Sie deutet auf die Möwen, die der Fähre folgen.

„Das geht nicht.“ Anna schüttelt den Kopf.

Marie schaut auf die leicht klebrige Leckerei in ihrer Pfote: „Mögen die keinen Honigkuchen?“

„Das weiß ich nicht. Aber: „Das Füttern der Möwen ist verboten“. Hier steht es geschrieben.“

Anna deutet auf ein riesiges Verbotsschild, das hinter ihnen über den Bänken hängt. Der Blick der kleinen Möwenfreundin folgt verständnislos ihrer Pfote. Für die Jüngste sind da nur riesige schwarze und rote Krackel. Die könnten doch alles Mögliche sagen. Aber wenn es bedeutet, „Möwen kriegen keinen Honigkuchen“, dann isst sie den Kuchen eben selbst. Mit vollen Backen mümmelnd betrachtet sie das schwerelose Auf und Ab der eleganten Segler, die nicht ahnen, was ihnen entgeht. Die meisten Möwen drehen ab, als sie einen Krabbenkutter entdecken, der mit ausgelegten Schleppnetzen das Kielwasser der Fähre kreuzt. Dem Fischer zu folgen verspricht bessere Beute, als auf leseschwache Touristen zu hoffen.

Auch Lisa und Lausebär schauen an der Reling den Möwen nach, wie ein eleganter Segler nach dem anderen abdreht, um dem Krabbenkutter nachzufliegen. Kaum dort angekommen stürzen sich die Vögel kreischend mit abgespreizten Beinen in die aufgewühlte See hinter dem kleinen Schiff. Sie haschen nach Beute, die von den beiden durch das Wasser gezogenen Netzen aufgejagt wird.

Wenn sich die beiden Bären stattdessen zum Aufgang zum Oberdeck umgedreht hätten, hätten sie zuerst ein keckes Puschelohr gesehen, das aus dem Halbkreisloch einer Baseballkappe hervorlugt. Einer Kappe, deren Schirm zur Seite gedreht ist, dass er das andere Ohr und den Nacken vor der Sonne schützt. Darunter steckt der mittelbraune Wuschelkopf von Howard, der die Treppe hochstapft. Lausebär hat seinen besten Freund noch nie ohne verdrehte Kappe gesehen. Sie könnte angewachsen sein, wenn Howard nicht mehrere Modelle zum Wechseln hätte. Neben Howard tauchen jetzt zwei weitere Bärenohren auf, die zum gewichtig dreinblickenden Linus gehören. Kleiner und etwas stämmig muss sich Lisas Bruder ganz schön abmühen, die Treppenstufen zu nehmen. Ständig klimpert es dabei in seinen Hosentaschen. Weil der kleine Bär immer bereit sein will, hat er seine wichtigsten Werkzeuge und Schätze ständig dabei. Für große Entdeckungen und richtige Abenteuer.

Deshalb haben Howard und Linus schon das ganze Schiff untersucht. Das Passagierdeck mit der Theke und den umherhastenden Kellnern, die hektisch wartende Gäste mit Kaffee und Matjestöpfchen bedienen. Sie testen die fast schalldichte Spielecke und finden die Gepäcknischen und das Kinderkino im Unterdeck. Die Brücke dürfen sie nicht sehen. Dafür werfen sie heimlich einen Blick in den Maschinenraum. Nachdem sie auch die Andenkenauslage mit Fährenpostkarten, Filzwattwürmern und in Folie eingeschlagenen Fläschchen mit Friesengeist genauestens inspiziert haben, ist es Zeit auf das Sonnendeck zu kommen. Sie stellen sich neben Lisa und Lausebär.

„Guck mal, Linus, da oben links. Die anderen Vögel sind schon abgehauen, aber die Möwe kommt die ganze Zeit mit. Die will sicher auch nach Amrum und freut sich, dass sie nicht allein fliegen muss.“ Die kleine Bärin deutet auf den letzten Seevogel, der noch über der Fähre schwebt.

Linus winkt ab: „Pah, die ist auch nur hungrig. Und außerdem ist die nicht links sondern an backbord!“

„Was ist denn dieses Backbord?“

Darauf hat der junge Bär nur gewartet, endlich kann er sein überlegenes Wissen ausspielen. Seit Linus weiß, dass es nach Amrum geht, guckt er sich alles im Fernsehen an, was mit Seefahrt und Meer zu tun hat. Piratenfilme, Reiseberichte, Matrosenschicksale und Geschichten hinter dem Deich. Inzwischen ist er der absolute Fachbär für maritime Fragen. Ein nautisches Genie sozusagen. Auch dank Howard, der – so oft er Zeit dazu findet – mit Linus zusammen vor dem Fernseher sitzt. Die Zeitschriften und See-Bücher verschlingen beide zusammen. Die Texte muss Howard natürlich Linus vorlesen. Bei längeren Passagen fasst der Ältere den Inhalt kurz zusammen. Das ist spannender für junge Bären. Die eine oder andere Flunkerei oder – wie ein Seebär sagen würde – ein bisschen Seemannsgarn hat sich da schon eingeschlichen. Für eine spannende Geschichte kann man nicht immer Rücksicht auf die Wahrheit nehmen.

Und Linus ist jetzt bereit für große Erklärungen:

„Das Backbord ist in der Küche. Die ist beim Schiff immer links. Sonst würde es ja umkippen. Weil das Brett, an dem das Steuerrad hängt, das Steuerbord, immer rechts ist. Und wenn da der Kapitän und der Steuermann stehen, muss der Smutje, das ist der dicke Koch, halt links bleiben. Wegen des Gleichgewichts, sonst gibt das Schlagseite.“

Lausebär schüttelt nur den Kopf, aber Lisa hängt an Linus Lippen. Einiges ist ihr noch unklar: „Schlagseite, hat das was mit Schlagsahne zu tun?“

„Nee, Nee!“ schüttelt der kleine Fachbär den Kopf. „Bei Schlagseite verliert die Fähre Tiefgang und kippt auf eine Seite. Und wenn sie sich ganz dreht, dann schwimmt sie kieloben.“

„Kiel oben wie München unten?“ Lisa versucht Ordnung in dieses Wirrwarr zu bringen.

„Der Kiel ist beim Schiff unten und wenn der oben ist, liegt das Ding auf dem Kopf“ Linus zeigt mit seiner Pfote, wie gefährlich das ist.

Lisa hätte es doch gern so einfach: „Wieso Schiff? Ich dachte, das ist eine Fähre, weil die doch übers Meer fährt.“

„Dann würde ein Schiff ja schiffen und ein Boot booten.“ Linus fährt unbeeindruckt vom verwirrten Blick seiner Schwester fort.

„Schiffen heißt an der Küste pinkeln, ihr meint eher Schippern,“ wirft Howard ein. Arme kleine Bärin.

Linus lässt sich nicht vom Kurs abbringen: „Alle Schiffe, Boote und was auch immer fahren auf dem Wasser und machen Knoten.“

„Wo? Ich sehe nur Wellen und weißen Schaum hinterm Schiff.“

„Du meinst das Heck...“, verbessert sie das nautische Genie.

Lausebär schaltet sich ein und versucht ein wenig Ordnung in Lisa Kopf zu bringen: „Die Knoten, die ein Schiff macht, kann man nicht sehen. Wenn Seeleute von Knoten sprechen, meinen sie die Geschwindigkeit des Schiffes. Und unser Schiff ist eine Fähre, weil sie auch Fahrzeuge, also Autos und Lastwagen nach Amrum bringt.“

Das hat die kleine Bärin jetzt verstanden. Aber der Rest ist leider immer noch so unklar. Besser, sie wendet sich den lustigen Dingen einer Seefahrt zu: „Hey, da tanzen bunte Bojen in den Wellen. Es gibt rote und grüne.“

„Das sind doch keine Bojen, das sind Tonnen.“ Der kleine Fachbär ist nicht zu bremsen. „Die zeigen, wo das Fahrwasser ist, weil da ein Priel liegt.“

Lisa hat die endgültig die Nase voll. Sie weiß doch genau, wie Tonnen aussehen und sicher wird ihr kleiner Bruder auch noch behaupten, dass ein Priel nichts mit dem Spülmittel zu tun hätte.

Wenn sie doch schon auf der Insel wären, die da vorne immer größer geworden ist und inzwischen fast das ganze Blickfeld einnimmt. Viele Fahrgäste können die Ankunft auch nicht erwarten. Überall werden Koffer und Taschen zusammengesucht und die ersten Gruppen sammeln sich mit geschulterten Gepäck schon auf dem Autodeck. Andere setzen sich in ihre Fahrzeuge. Jetzt aber schnell. Die kleine Bärin will nicht die Letzte sein, die auf die Insel kommt. Sie müssen packen und sich dazu stellen. Dann sofort zum Ausgang und...

„Ganz ruhig Lisa,“ bremst Lausebär. „Wir müssen noch eine Insel weiter.

Das ist erst Föhr!“

Kapitel 3: Immer noch auf See

Ein tiefes Tuten begrüßt Amrum.

Die Fähre nähert sich dem Hafen, der auf einer Landzunge liegt. In der Mitte der Fläche steht ein blauweißes Gebäude. Das ist keine griechische Hafenspelunke, wie Linus vermutet, sondern der Sitz der WDR. (Natürlich von der Reederei und nicht vom Fernsehsender.) Damit die Autos vom Schiff kommen, müssen sie jetzt nur noch zu einem der drei blauen Metalltore kommen, die große Stahlrampen tragen.

Den Weg dahin markieren Holzstangen, die senkrecht aus dem Wasser ragen. Einige haben Reisigbündel ans Ende gebunden, als sei ein ganzes Hexen-Geschwader mit ihren Besen geradewegs in die Hafenzufahrt gestürzt und im Schlick stecken geblieben. Die anderen Stangen waren mal Birken, denen man eine kleine Krone gelassen hat. Die restlichen Äste sind fort. Nur ein paar kümmerliche Zweige mit einigen trockenen Blättern recken sich am Ende nach oben.

Howard und Lausebär stupsen sich die ganze Zeit an und zwinkern sich verschwörerisch zu.

„Das wär´s. So einen müssten wir am Strand finden,“ flüstert Howard seinem Freund ins Ohr.

„Ja, das wäre optimal... Aber der ist sicher ganz schön schwer.“

„Aber hallo!“ Howard hebt begeistert die Stimme.

„Wie lang die wohl sind?“ Auch Lausebär packt die Aufregung.

„Na so acht bis zehn Meter bestimmt. Kommt darauf an, wie tief die im Wasser stehen.“ Howard versucht, mit seinem Blick das Meer zu durchdringen.

Lisa will auch wissen, worüber die beiden reden: „Was ist tief im Wasser? Und was wollt ihr am Strand?“

Ihre große Strandplanung wollen die beiden noch nicht verraten, aber den Rest kann man der Kleinen ja sagen.

„Wir reden über die Pricken.“ Howard deutet auf die Stangen im Wasser.

Da ist schon wieder so ein komisches Wort. Lisa hat den Verdacht, dass an der Küste alles irgendwie anders heißt. Können die nicht einfach alles normal benennen, so wie sie?

„Was sind denn diese Pricken?“

„Das sind Pinkelbäume für Seehunde,“ trötet Linus dazwischen.

„Und sie zeigen den Weg zum Anleger,“ ergänzt Howard, der Linus nicht korrigieren will. Schließlich kennt der Bärenjunge die Seehundgeschichte von ihm.

Lisa traut sich schon gar nicht mehr zu fragen, sicher lauern da schon wieder so viele Küstenworte. Sie kann sich die Frage aber auch sparen, da Linus seine Kenntnisse auch so blitzen lässt.

„Der Anleger ist der Pier. Oder die Mole. Oder ein Steg. Oder ein Kai. Oder...“ Lisa winkt unwillig ab, sie will nicht immer neue Worte für das Unbekannte. „Schluss mit den Kai-Uwes. Was ist denn nun ein Anleger?“

„Der Anleger ist da, wo die Fähre anlegt,“ wirft Howard schnell ein.

Anlegen am Anleger, das klingt so sanft und bedächtig. Lisa weiß noch, wie es gerade in Föhr gewesen ist. Die Fähre hat sich mit ordentlich viel Schwung im Hafenbecken gedreht und ist dann mit einem lautem, tiefen „Dong“ an ein paar Metallpfähle gehauen. Die sind dick mit Gummi gepolstert. Und nachdem das Schiff noch ein paar Mal gegen die Pfähle gerummst ist, liegt es wohl endlich richtig. Dann ist es nur noch an den Gummis lang gescheuert, bis es dicht genug an dieses blaue Tor rangekommen ist und die Metallrampe mit lautem Rumpeln auf das Autodeck gehauen werden konnte. Das hat aber keinen von der Besatzung aufgeregt. Die machen das wohl immer so. Eigentlich sollte man das Ganze lieber Anrempeln statt Anlegen nennen. Mal sehen, ob es diesmal anders wird.

Das Schiff nähert sich im weiten Bogen der Stahlrampe. Plötzlich wird die Fahrt ruppig. Das Summen geht in ein immer heftigeres Brummen über. Die Fähre verliert an Fahrt. Die Diesel bellen auf, der grüne Metallboden beginnt zu vibrieren. Dann Ruhe. Die Schiffsmotoren springen wieder an. Die Pfähle am Anleger wandern jetzt nach vorne raus. Sie fahren rückwärts.

Erneut rappelt das Schiffsdeck. Die Motoren werden lauter. Wieder Stop.

„Wir haben Voll-Ebbe.“ Das nautische Genie spricht.

„Voll? Der Hafen sieht leer aus. Hier gibt es noch nicht mal Wasser.“

Lisa versteht dieses Wasser-Kauderwelsch immer noch nicht.

„Sage ich ja. Das Schiff ist aufgelaufen,“ schnauft Linus. Kleine Schwestern kapieren doch gar nichts.

„Auf was?“ Muss sie ihm alles aus der Nase ziehen?

„Auf Grund.“

„Ja?...Linus, auf was für einen Grund?“ Lisa pufft ihren kleinen Bruder in die Seite, damit er weiterspricht.

„Schlick. Um wieder flott zu werden, müssen die jetzt Gewicht loswerden.“

„Gewicht loswerden?“ In Lisas Kopf schwirren die Fragen. Wie geht das denn verloren? Kann das Schiff dünner werden? Gibt es dafür auch Schlankheitskuren? Muss die Besatzung nun hungern? Dauert das nicht schrecklich lange?

Linus kennt einen besseren Weg: „Am besten werfen sie Ballast über Bord. Zum Beispiel die Feriengäste.“

„Das ist nicht wahr.“ Lisa weicht einen Schritt zurück. Aber Linus packt ihre Pfote.

„Doch! Und immer Frauen und Kinder zuerst. Das ist ein altes Gesetz der Seefahrer. Sie fangen mit den kleinen Mädchen an. Weil die ja Frauen und Kinder zugleich sind.“

„Das ist doch nicht wahr, oder?“ Lisa schaut sich sicherheitshalber um, ob die Besatzung tatsächlich die Fahrgäste zur Reling treibt. Die Männer in den roten WDR-Jacken bleiben aber ganz ruhig. Sie scheinen noch Zeit zu haben.

Anna mustert Linus von der Seite. Er treibt es wieder zu arg mit der kleinen Bärin. Marie hat zum Glück nicht zugehört. Bevor Anna dazwischen gehen kann, hat die Fähre wieder Fahrt aufgenommen. Diesmal kommt sie bis zum Anleger. Die sechs Bären sammeln ihre sieben Sachen zusammen und streben zum Ausgang.

Bevor sie von Bord gehen, deutet Howard zum Anleger. Dort stehen die beigefarbenen Autos mit den gelben Schildern auf dem Dach.

„Guck mal, Linus, da warten die Kurtaxen.“

„Howard!“

Kapitel 4: Der Mond ist schuld

Howard´s Kurtaxen sind ganz normale Autos mit Taxischildern auf dem Dach. Die gibt es auch daheim. Die Bären lassen sie links liegen, als sie im Getümmel von Bord gehen.

Außerdem behauptet Anna, dass Kurtaxen gar keine Autos sind. Eine Kurtaxe ist dasselbe wie die Kurmittelabgabe. Die muss jeder Inselbesucher extra bezahlen, wenn er über Nacht bleibt. Von dem Geld bauen die Insulaner dann Schwimmbäder und Strandpromenaden mit bunten Fahnen. Anna hat sich da informiert. Bei der telefonischen Zimmersuche hat ihre Vermieterin gleich gesagt, dass sie diese Kurmittelabgabe einsammeln muss. Dafür bekommen die Bären von ihr eine eigene „Gästekarte“. Damit jeder weiß, dass er im Fremdenverkehr „ein Gast“ ist und außerdem hat die viele andere Vorteile. Das wird Anna dann erst mal prüfen.

Wenn alle Bären im Zimmer sind. Das liegt zum Glück um die Ecke in Wittdün, so dass sie zu Fuß dahin gehen können. Es ist der erste Ort gleich hinter dem Hafen. Wo der Anleger aufhört, fängt Wittdün an.

Das größte Gebäude sehen sie schon von der Mole aus. Es ist ein grauer Kasten mit sechs Stockwerken und heißt „alte Post“. Die „alte Post“ ist aber gar nicht alt und auch keine Post. Stattdessen sind Ferienwohnungen darin. „Die haben den Vorteil, dass man von dort die anderen, die netteren Häuser sieht,“ vermutet Howard.

Vom Anleger kommen die Bären schnell zu einer Weggabelung.

Links geht es zur „Südspitze“, wo dicht geschachtelt Häuserreihen stehen. Die Bewohner haben eine gute Aussicht – auf die Nachbarn – und wissen sicher, was die so essen. Rechts beginnt die „Inselstraße“, die - wie Wegweiser verkünden - bis nach Norddorf an das andere Ende der Insel führt. Nur der erste Teil ist die Hauptstraße von Wittdün. Hier stehen die richtig alten Häuser mit Holzverzierungen, kleinen Butzenfenstern und bunten Putzfassaden. Cafes, Restaurants und Läden reihen sich aneinander. Alle warten auf Feriengäste. Selbst der Elektroladen und der Klempner locken mit einer reichhaltigen Auswahl an Insel-Andenken. Natürlich passen nicht alle Geschäfte in die alten Häuser, so dass mittendrin noch einige große Neubauten stehen. So ein typisch friesisches Dorf ist Wittdün wirklich nicht. Eher ein richtiger Ferienort – aber sehr übersichtlich.

Die Einheimischen benötigen deshalb keine besonders ausgeklügelten Namen für die Wege. Hier würde sich sogar Marie zurecht finden, wenn sie schon lesen könnte. Oberhalb der Inselstraße verläuft die „Mittelstraße“ mitten durch den Ort. Eine ruhige Straße, an der die meisten Pensionen und Ferienwohnungen liegen. In einer dieser Pensionen haben sie ein Zimmer reserviert. Das werden sie aber erst nachher suchen. Zuerst wollen alle den Strand und das Meer sehen.

Noch erhebt sich ein Hügelkamm hinter der Mittelstraße, der den Blick auf die andere Inselseite und das Wasser versperrt. Große, dunkle Gebäude sitzen oben auf der Kante. Früher waren es vielleicht prachtvolle Hotels, heute zieht Kantinenduft aus den Großküchen und überall klingen Kinderstimmen aus geöffneten Fenstern. Die weiße Düne, die Wittdün den Namen gibt, ist wahrscheinlich unter den ganzen Häusern verschwunden.

Sie steigen die letzte Anhöhe hinauf und laufen zwischen den hohen Fassaden der Kinderheime durch. Und sehen wieder freien Himmel bis zum Horizont. Hier kommen keine Häuser mehr, nur die „obere Wandelbahn“. Die zieht sich als Fußweg den Kamm entlang, der sich wirklich als die gesuchte Düne erweist.

„Das ist eine Wandelbahn? Wieso hat die sich verwandelt? Und was war die vorher?“ Lisa hätte sich im nächsten Moment am Liebsten auf die Zunge gebissen. Jetzt kommt sicher wieder so ein Inseldurcheinander. Und schon kräht ihr vorlauter Bruder dazwischen:

„Quatsch! Da wird man selber verwandelt. In ein grünes schleimiges Monster, wenn man zu lange darauf rumläuft.“ Linus blinzelt Lisa an.

„Bähh, ich will aber kein schleimiges, grünes Monster werden.“

Linus überlegt nicht lange: „Dann wirst du halt eines in mädchen-lila. Haha! Hier kommt die lila Lisa - extra schleimig!“

„Anna! Linus will mich in ein Mädchenmonster verwandeln.“ Lisa ist entsetzt. Wo ist eine große Schwester, wenn man sie braucht?

„Mit gelben Flecken.“ Linus zieht sich die Augen zu Schlitzen und lässt die Zunge raushängen. Lisa soll schon mal sehen, wie so ein Monster daherkommt.

„Annaaa!?!“

Anna schluckt und antwortet betont sachlich:

„Das heißt Wandelbahn, weil man früher darauf „lustwandeln“ konnte.“

„Das ist ja spannend.“ Lisa hat keine Zeit mehr für die Angst vor lila Monstern. „Lustwandeln hat sicher mit diesen Fernsehfilmen spät abends zu tun, die wir nie sehen dürfen, was Linus?“

„Geil, dann ist das ja verboten. Ich will auch so rumgelusten.“

„Ich will aber Sand und Muscheln,“ meldet sich Marie.

Doch die sind nicht zu sehen, denn auf der einen Seite stehen die Häuser und auf der anderen Seite versperrt ein mit dichtem Dünengras bewachsener Sandwall die Sicht. Viel zu hoch, als dass die Bären drüber wegspähen könnten. Eigentlich sollte nach Annas Informationen die Düne hinter der „oberen Wandelbahn“ wieder steil abfallen bis zur „unteren Wandelbahn“. Also wandeln die Bären im Laufschritt die Wandelbahn entlang.

Anna lässt alle stoppen. Sie sind vielleicht schon viel zu weit gelaufen. Da war doch eben noch eine Treppe, die nach unten führte. Doch statt der ersehnten Stufen entdeckt Linus bei den Häusern einen riesigen rostigen Anker und zwei Bojen. Schnell verbessert sich das nautische Genie: „Ich meine natürlich Tonnen.“

Aber es wird noch besser. Direkt neben einem Apartmentblock steht ein runder roter Metallturm mit weißer Bauchbinde, auf dem ein kleines Rundzimmer mit großen Fenstern und umlaufender Reling sitzt. Er weiß sofort, was das ist. Der kleine Fachbär rudert wild mit den Armen, bis alle Bären versammelt sind: „Cool, die haben einen eigenen Leuchtturm im Vorgarten.“

Während Linus wie ein Flummi umherspringt, schiebt Howard seine Kappe weiter in den Nacken, um besser zur Turmkanzel emporblicken zu können. Er weiß aus seinen Inselvorbereitungen, dass dieser kleine Leuchtturm schon wieder außer Betrieb ist, aber er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Betont langsam dreht er sich zu der großen Bärin neben ihm um und legt seinen Schelmenkopf auf die Seite: „Anna, wo wir wohnen – haben die auch ein privates Seesignal?“

Anna lächelt Howard süßsauer zu. Danke. Dabei hat sie die Ferienwohnung gesucht, mit der Vermieterin gesprochen, sich um diese Gästekarte und alles andere gekümmert. Vorher die Fähr- und Bahnkarten besorgt. Eigentlich hat sie die ganze Reise geplant, während die beiden Großen für derlei profane Dinge keine Zeit hatten, weil sie ja Wichtigeres organisieren mussten. Und jetzt soll sie noch einen Leuchtturm aus dem Ärmel schütteln.

Die kleinen Bären sind viel zu aufgeregt, um auf Annas Miene zu achten. „Da dürfen wir jeden Abend das Licht anmachen.“ Linus kennt sich natürlich auch bei Leuchttürmen aus. „Und das blinkt die ganze Nacht.“

Lisa sieht das Ganze eher praktisch: „Wir sind dann doch immer müde. Bei dem ewigen Licht-an-Licht-aus kann Kaninchen sicher nicht schlafen.“

„Aber das ist doch so obercool! Ich will ein Leuchtturmzimmer. Und den Schiffen heimleuchten.“

Anna bremst die hochfliegenden Pläne: „Unser Zimmer hat aber kein Leuchtfeuer.“

„Vielleicht lassen die Inselleute uns dann hier wohnen,“ der kleine Bär mag noch nicht aufgeben. „Frag doch mal.“

„Es war schon schwierig genug, in der Hauptsaison überhaupt ein Zimmer mit Meerblick zu bekommen,“ murmelt Anna. Und lauter, um die kleinen Bären abzulenken: „Wo ist eigentlich das Meer? Lasst es uns suchen.“

„Hier ist aber kein Meer.“ Marie hat schon Angst bekommen, dass das Wichtigste vergessen wird.

„Hier auch nicht.“ Die Bären wuseln wieder die Wandelbahn entlang und die Kleinen berichten immer eifrig über den aktuellen Stand der Suche. „Immer noch nicht.“ Endlich führt ein Weg in den Sandwall hinein. Es ist zwar keine Treppe, aber ein Aussichtspunkt in den Dünen. Von hier werden sie einen guten Blick auf die Umgebung haben. Auf der Plattform angekommen, klettern sie alle auf die Holzbänke. Endlich können sie über das hohe Gras spähen, aber das Wasser sehen sie nicht.

„Wo ist denn das Meer?“ Marie ist enttäuscht.

Vorne ist zwar ein Strand mit vielen Strandkörben. Aber dort wo Wasser sein sollte, liegt nur dunkler Matsch. Dann kommt heller Matsch und ganz weit, weit weg leuchtet endlich das Meer.

„Hier wollen wir Urlaub machen? So ohne Wasser.“ Lisa ist entrüstet. Da hätte sie ja zuhause in der Sandkiste bleiben können.

„Ich will Meer,“ fügt Marie hinzu.

Nur Linus gewinnt diesem „Strand“ sofort seine Vorteile ab: „Wir können hier tolle Schlammschlachten machen. Jeden Tag! Dabei machen wir uns ganz matschig und Anna darf nichts dagegen sagen.“

„Ich will aber Meer,“ Marie will ihre Urlaubswünsche so schnell nicht aufgeben. „Vielleicht finden wir es ja mit diesem blauen Gucki.“

Marie deutet auf das Fernrohr, das auf dem Geländer der Aussichtsplattform thront. Aber als sie durchschaut, sieht sie schwarz.

„Das ist sicher ein Nachtsichtgerät.“ Linus kennt sich aus mit der Technik.

„Nee, du Hirni! Da muss man Geld reintun,“ jubiliert Lisa. Sie liebt es, den kleinen Bruder endlich verbessern zu können.

„Das Geld können wir sparen,“ beginnt Howard, um den kleinen Bären zu ihrem Strandurlaub zu verhelfen. „Das Meer kommt von allein wieder. Was ihr hier seht, ist das Watt. Das ist der Meeresboden bei Ebbe. Und bei Flut deckt das Wasser ihn wieder zu.“

„Wann kommt das Meer?“ Marie und Lisa wollen es lieber ganz genau wissen.

„Wenn wir jetzt Niedrigwasser haben,“ Howard überlegt, „spätestens in sechs Stunden.“

„Hat das Meer eine Uhr oder woher weiß es, wann es kommen muss.“

„Nein das Meer braucht keine Uhr, weil alle sechs Stunden Flut und sechs Stunden später wieder Ebbe ist.“ Howard sieht an ihren Gesichtern, dass den Kleinen die Erklärung noch nicht reicht. „Das liegt am Mond. Er zieht das Wasser an und deshalb ist dort Hochwasser, also Flut.“

„Der Mond ist schuld?“

„Ja. Weil er so trocken ist, hätte er auch gern Wasser. Deshalb saugt er das Wasser auf der Erde an. Aber der Mond ist soweit entfernt am Himmel - er schafft es nie. Dennoch gibt er nicht auf und versucht es ständig.“

„Und wie macht das der Mond?“ Lisa schaut Howard ungläubig an.

„Mit einem Strohhalm,“ kräht Linus dazwischen.

„Nein, mit Schwerkraft.“ erklärt Lausebär nüchtern. Er vermeidet es, kleinen Bären immer nur hübsche Geschichten erzählen. Irgendwann verstehen sie auch die richtigen Zusammenhänge.

Linus überlegt. Das muss ja ein tolles Ding sein - diese Schwerkraft. So etwas wie nanomäßige-super-duper Hyperkraft in den Filmen. Coole Sache. Dagegen versteht Lisa diese Mondwassersaugerei noch nicht.

„Der Mond scheint doch nur in der Nacht. Kommt das Wasser dann tagsüber, damit es nicht aus der Übung kommt?“

„Nein, das ist auch der Mond. Der ist dann auf der anderen Seite der Erdkugel und zieht dort das Wasser hin...“

„...und damit die Erde nicht aus dem Gleichgewicht kommt, muss hier dann auch am Tag Flut sein,“ ergänzt Lausebär Howards Erklärung.

„Aber das Meer kommt wieder?“ Marie verkürzt die Wasserfrage auf das Wesentliche.

„Wenn wir morgen an den Strand gehen, wird das Meer da sein,“ beruhigt sie Anna.

„Aber wieso, wenn da kein Mond ist? Woher weiß das Wasser dann, das wir es brauchen?“ Lisa zweifelt noch immer.

Bevor Howard den Mond noch weitere tolldreiste Abenteuer erleben lässt, übernimmt Lausebär die Erklärungen.

„Das Meer weiß es nicht. Das geht automatisch mit der Fliehkraft.“

Linus ist begeistert. Die Fliehkraft – das ist sicher der schmächtige Kumpel von der kräftigen Schwerkraft und die sind ganz dicke.

„Die Fliehkraft schubst das Meer hierher?“ Lisa glaubt Lausebär kein Wort. „Na dann erklär mal!“ Howard ist gespannt, wie Lausebär den Kleinen so Ebbe und Flut erklären will. Seine Mond-Geschichte ist doch viel besser, um junge Bärenseelen zu beruhigen.

„Da hilft nur Lausebärs Strandplanetarium.“

Lausebär zeigt auf das schmale Strandstück unter ihnen.

„Kommt mit nach unten auf den Sand. Dort zeige ich euch, wie es alles zusammenhängt. Ihr müsst mir aber helfen.“

Immerhin sieht man von der Aussichtsplattform die Treppe, die zur unteren Wandelbahn führt. Sie stürmen die steilen Stufen runter. Und von der unteren Wandelbahn ist es noch eine kleine Treppe zum Strand. Die paar Holzstufen noch und sie stehen auf dem weichem Sand.

Lausebär beginnt: „Also ich bin die Erde. Und wer will das Meer sein?“

„Ich! Ich!“ Marie stürmt zu Lausebär.

„Ich aber auch,“ Lisa zieht einen Flunsch.

„Dann seid ihr eben beide ein Meer. Marie ist der Pazifik und Lisa der Atlantik.“

„Und Kaninchen?“
“Kaninchen wird die Nordsee, das ist ein kleines Meer am Atlantik.“

Kaninchen ist einverstanden. „Und ich bin das Steinhuder Meer,“ kräht Linus, der nicht als Einziger meerlos bleiben will.

„Jetzt halt dich fest, Marie.“ Lausebär packt die Kleine mit seinen Pfoten.

„Die Erde dreht sich um sich selbst,“ und Lausebär beginnt sich auch zu drehen. Schon hebt Marie ab und fliegt glücklich kreischend durch die Luft.

„Seht ihr, Marie würde davonfliegen, wenn ich sie nicht halten würde. Das ist die Fliehkraft. Aber ich halte sie fest, damit sie bei mir bleibt. Das ist die Schwerkraft der Erde.“

„Loslassen,“ juchzt Marie. Lausebär bremst ein wenig seine Drehung, damit die Kleine nicht zu weit segelt. Natürlich kann Marie sich nicht allein festklammern und purzelt in den Sand. Dann läuft sie lachend zu Anna, die ihr den Sand aus den Kleidern klopft. Vielleicht hätte Lausebär doch warten sollen, bis morgen alle ihre Strandsachen angezogen hätten. Aber inzwischen segelt der Atlantik mit der Nordsee durch die Luft, umkreist von einem schreienden „Steinhuder Meer“, das auch mal fliehen will.

Nachdem alle Meere im Sand gelandet sind, ist das mit der Erde klar. Aber wieso ist der Mond schuld.

„Gut, dann kommt der Atlantik und der Pazifik zu mir.“ Lausebär winkt Marie und Lisa zu sich. „Jeder nimmt eine Pfote und wir drehen uns langsam.“ Lausebär kreist um die eigene Achse in der Mitte und hält an jedem Arm eine kleine Bärin, die um ihn herumlaufen. „Mit meiner Schwerkraft kann ich die Meere gut halten.“

„Und wirst ganz schön schwindelig bei diesem Drehwurm,“ ergänzt grinsend Howard. Er sieht sich mit Anna das Treiben aus entsprechendem Abstand an, damit ein unkontrolliert fliehendes Meer die beiden nicht umrennen kann.

„So Linus, du bist jetzt der Mond und versuchst mit deiner Schwerkraft mir ein Meer wegzuziehen,“ fährt Lausebär mit seiner Erklärung fort. Linus beginnt um die drei Bären herumzulaufen, bis er mit Lisa auf eine Höhe kommt. Dann greift er fest zu, um sie von Lausebär wegzuziehen.

„Aua! Du Blödi, nicht so doll!“

„Das bin nicht ich! Das ist meine super-duper Schwerkraft und außerdem soll ich das so machen.“

Linus zerrt nun so, dass Lausebär mit zwei Pfoten Lisa greifen muss, damit er sie gerade noch halten kann. „Marie halt dich fest!“ Marie klammert sich allein an seiner Jacke fest. Als die ganze Rangelei sich immer schneller dreht, hebt sie wieder ab. Und fliegt nur noch mit.

„Das,“ ächzt Lausebär, „ist nun die ganze Erklärung:

Ich brauche meine Schwerkraft, um Lisa gegen den Mond zu schützen, der sie mir davonziehen will. Und weil ich keine Pfote frei habe, kann ich auf der anderen Seite nicht auch noch Marie halten, die nun fast mit der Fliehkraft wegsegelt. Ihr beiden seid jetzt die beiden Wasserberge der Erde, die jeweils Flut heißen. Und zwischen beiden Bergen wird das Wasser weggezogen. Da ist dann Ebbe.

Und jetzt brauche ich eine Pause.“ In diesem Moment fällt das Knäuel übereinander kullernd in den Sand.

Die kleinen Bären wollen das alles noch einmal erklärt bekommen. Und ganz genau mit allen Einzelheiten. Aber Lausebär torkelt nur noch in Schlangenlinien über den Strand. Also ist nun die Erde „Howard“ an der Reihe und der Linusmond darf wieder mal am Pazifik und mal am Atlantik zerren. Den aber nicht so doll. Ein paar Mal bricht das kreiselnde Planetarium noch auseinander, bis auch Howard schwitzend aufgibt. Sie haben zwar überall Sand in ihren Sachen, bei jeder Bewegung kratzt er ein wenig im Fell und er rieselt aus den Ärmeln - aber das Spielen ist hier fantastisch. Alles ist so weich, dass sich beim Fallen keiner wehtut. Wenn der Strand nur breiter wäre.

„Wir bleiben nicht hier vorne an diesem schmalen Sandstreifen,“ beruhigt Anna die kleinen Bären. Die Große stellt sich vor die Mäkelliesen und Muffelmarien. Mit dem Arm beschreibt sie einen weiten Bogen nach links: „Wir gehen morgen dort hin, wo der Strand über einen Kilometer breit ist. Da gibt es soviel Sand, dass ihr das Gefühl habt, ihr würdet in der Wüste gebraten. Wir werden Platz ohne Ende haben. Niemand wird euch stören und ihr könnt am Strand machen, was ihr wollt.“

Lausebär und Howard haben leuchtende Augen bekommen. Diese Freiheit wollen sie nutzen. Dafür haben sie alles vorbereitet. Morgen werden sie dieses Reich erobern.

Doch jetzt wird es Zeit, die Pension und ihr Zimmer zu suchen.

Der Koffer wartet schon.

Kapitel 5: Weiter Strand

Braten wie in der Wüste, hatte Anna gesagt.

Lisa hatte nicht geahnt, dass Anna das so ernst meinte.

Jetzt ist sie schon mindestens zwei Stunden unterwegs und der Strand scheint kein Ende zu nehmen. Kaninchen hängt längst schlaff an ihrer Pfote und wird von ihr durch den Sand geschleift.

Noch einen Hügel erklimmen und dann...

Dabei sind noch keine vierzig Minuten vergangen, seit die kleine Bärenexpedition bei „Köhns Übergang“ die obere Wandelbahn verlassen hat und entlang der hölzernen Markierungen des Vogelschutzgebietes, der Pfahlreihe, ihre Wanderung über den Kniepsand begonnen hat. Und wahrscheinlich wird keine Viertelstunde vergehen, bis sie die Wasserkante erreichen.

Aber das ist der kleinen Bärin egal. Wenn jemand behauptet hätte, die Wüste Gobi läge zwischen Wittdün und der Nordsee - und nicht nur tausend Meter sanft gewellte Sandlandschaft - sie würde es glauben. Sicher dauert es noch Stunden, bis sie endlich das Wasser sieht.

„Ist es noch weit?“ Lisa ruft nach hinten, wo Anna mit Marie an der Hand die Nachhut bildet. Dann dreht sie sich nach vorne und versucht den Wind zu übertönen: „Sind wir schon da?“

Dort atzen Howard und Lausebär vorweg - trotz der schweren Rucksäcke mit Handtüchern, Strandzeug und Proviant. Ihr Rücken ist schon klatschnass, aber sie wollen schnell zum Wasser. Für morgen werden sie sich irgendwas überlegen müssen. Jeden Tag diesen schweren Krempel so über den Strand zu schaffen, das wäre ja Mord. Aber wer kann schon bei dieser Plackerei denken. Später, wenn sie endlich angekommen sind.

Lisa versucht es noch einmal: „Ich habe Durst!“

Niemand scheint Lisa zu hören, nur dieser Wind, der ständig den Sand mitbringt. Überall ist der Sand und beißt und zwickt. „Ist hier immer so´n Wind?“

„Ja, der Schmirgelwind ist fast immer hier. Deswegen heißt es auch Kniepsand, weil der Sand hier ständig kneift.“ Linus taucht neben Lisa mit seiner Schippe auf.

„Alter Besserwisser.“ Lisa will keine Erklärungen, sie will ans Meer.

Aber Linus ist schon wieder verschwunden und versucht auf der Kinderschaufel sitzend, den nächsten Steilhang herab zu rutschen. Fast gelingt es ihm. Erst auf dem letzten Meter verwandelt er sich zusammen mit der sperrigen Schippe in eine wild im Sand rotierende Kugel, die erst vom nächsten Dünengras gestoppt wird. Lachend springt der Bärenjunge auf und klettert die nächste Düne hoch.

„Linus.“

„Keine Zeit! Hier kommt der weltbeste Sandrutscher!“

Lisa setzt sich da schon lieber auf den Po, nimmt ihr Plüschtier auf den Schoß und beginnt vorsichtig rutschend mit dem Abstieg.

„Weißt du was, Kaninchen? Diesmal laufen wir noch mit. Aber wenn das jetzt jeden Tag so ist, will ich gar keinen Strandurlaub.“

Als sie das Meer erreichen, ist es einfach wunderbar. Die Sonne steht an einem wolkenlosen Himmel. Die Wellen schlagen sanft an die Küste. Der Wind ist angenehm kühl, da er jetzt über das Wasser streicht. Natürlich weht auch kein Sand mehr. Aber der Sand unter ihren Pfoten wärmt die Sohlen. Weit und breit sind sie allein am Strand. Als wären sie die ersten Bären, die diese Küste für sich in Besitz nehmen. Die Kante der hohen Dünen, die mit Gras bewachsen die Insel schützen, liegt weit hinter ihnen. Über die Dünenspitzen erhebt sich der rot-weiß geringelte Leuchtturm. Weit links, kaum noch sichtbar, endet der Dünensaum in Wittdün. So perfekt ist keine Postkarte. Und sie sind mittendrin.

Die Rucksäcke bleiben einfach im Sand liegen. Aufgeregt laufen die Bären über den Strand. Die Kleinen schreien vor Begeisterung und rennen wild durcheinander. Sie wollen Muscheln sammeln, einen Strandburg bauen, nein, Fangen spielen oder im Sand buddeln - am Besten alles zugleich.

Anna stellt sich an die Wasserkante und genießt wie der Wind um ihre Schnauze streicht. Lausebär und Howard suchen die höchste Stelle am Strand und lassen den Blick schweifen. Lisa will ihren Hut loswerden und Linus streift sein Hemd über den Kopf. Anna kann gerade noch verhindern, dass auch Marie sich aus den Kleidern pellt. Die Sonne ist viel zu heftig. Durch den Wind merkt man gar nicht, wie sie sogar durch den dichten Pelz alles verbrennen würde. Die Kleinen müssen sich wieder anziehen.

Dann verabreicht Anna allen honiggesüßten Früchtetee aus der Thermoskanne, damit sie bei der Hitze nicht austrocknen. Howard und Lausebär beginnen einen Windschutz aufzustellen. Die kleinen Bären helfen begeistert mit. Es ist aber nicht ihre Schuld, dass die bunte Tuchwand nur krumm und schief steht. In dem feinen trockenen Sand wollen Stangen und Haken einfach keinen Halt finden.

Für heute wird der Schutz aber ausreichen.

Kapitel 6: Das Geheimnis der großen Bären

„Du bist tot!“ Aufgeregt schnappt Lisa nach Luft.
„Lass das!“ kreischt sie Linus an. „Wenn du es auch nur versuchst, bist du tot!“ Am Liebsten würde sich die Bärin breitbeinig vor ihren kleinen Bruder stellen, um ihn richtig zu beeindrucken. Aber sie traut sich nicht.

Denn schon steckt Linus den langen Holzstock in die glitzernde Glibbermasse vor ihm im Sand. Und beschleunigt mit einer schwungvollen Armbewegung das Ganze auf Lisa zu. Die hat keine Zeit, den Augenblick zu genießen, wie das milchig-durchsichtige Schleimtorpedo auf seinem kurzen Flug im Sonnenlicht gleißt. Sie taucht nach links unten ab und duckt sich. Zum Glück. Mit einem sanften Flatsch schlägt die Qualle weit hinter ihr im weichen Sand auf.

„Ich habe dich gewarnt. Jetzt wirst du sterben.“ Aber Linus hat schon das nächste Glibberding entdeckt und eilt mit flinken Beinen dorthin. Er bringt seinen Stock in Position und zielt auf Lisa. Und die ist ratlos. Soll sie, statt nur zu drohen, auf Linus losstürmen und versuchen, ihn selber in dieses eklige Schleimzeug zu schubsen? Oder soll sie lieber wegzulaufen, um möglichst viel Abstand zu seinen Glibbergeschossen zu gewinnen? „Du bist auf jeden Fall schon ziemlich tot!“ Doch vorher muss sich die kleine Bärin wieder ducken, da die nächste Flugqualle herangesaust kommt. Das war knapp...

Dabei ist der erste Strandtag bis jetzt doch so schön gewesen. Nachdem sie alle zusammen den schiefen Windschutz direkt am Wasser aufgestellt haben, ist Lisa mit ihrem kleinen Bruder zur Wasserkante spielen gegangen. Hier gibt es so viel zu entdecken, hier liegt ja so viel rum. Leider kann der kleine Bär kaum noch was in die Hosentaschen stopfen. Die sind ja schon so voll. Das orange Fadennest, in dem sich schon Stöckchen, Muscheln und Algenfransen verfangen haben, passt aber noch rein. Das kann er später auseinander rupfen.

"Hier könnte jemand doch mal aufräumen," Lisa schaut sich um, und findet alles so unordentlich. Linus findet dagegen einen langen Stock. Den bohrt er in alles rein, was auf dem Strand rum liegt. Stochert darin rum. Puhlt in Öffnungen. Dann nutzt der größte Erfinder der Welt den Stecken als Hebel, um Muscheln aus dem Sand zu schießen. Aber so ein Strand ist ja bestes Entdeckerland. Der Bär entdeckt jetzt die Glibber-Quallen am Spülsaum. Sie glitzern im Sonnenlicht. Die kann sicher noch besser über den Strand pfeffern: „Das sind ja schon Leichen.“ „Trotzdem gefährlich, weil ihre Nesseln immer noch brennen,“ ruft Anna rüber. „Nesseln? Die haben doch keine Blätter?“ Auf jeden Fall sind die glasig-violetten Glubschteile total eklig. Anfassen will Lisa die nicht. Und jetzt bewirft Linus sie mit den Schleimnesseln. Lisa droht. Lisa läuft. Lisa schimpft. Lisa rennt. Lisa schreit. Lisa flieht. Und ihr Bruder johlend und Quallen feuernd immer hinterher. „Johoh, das sind topgefährliche Feuerquallen!“

Auf der Flucht lecken die Wellen an den Füßen. Kleine bleiche Schaumkronen kriechen den Strand rauf. Beim Weglaufen ist Lisa immer wieder in anlaufenden Wellenspitzen getappst, die den Sand hochlaufen und sich wieder zurückziehen, bis spritzend die nächste nachdrängt. Dafür hat Lisa jetzt keine Zeit. Es ist ihr egal, dass jetzt Flut ist und das Wasser unmerklich immer höher kommt. Nur ihr Kleidsaum ist schon nass sandig und schwer.

Der Wind frischt schon den ganzen Morgen auf und die Brandung rauscht schon etwas drängender, aber noch Lisa schreit viel lauter vor Aufregung. „Linus zieh Leine!“ „Welche?“ Da ist schon ein neues Geschoss! Platsch! „Uuääääaaaaaaannnnaaaa!“ „Treffer. Versenkt,“ jubiliert Linus. Die Qualle rutscht an Lisa ab und hinterlässt eine feuchte Spur. Lisa schüttelt sich. Das Ist noch viel ekliger als sie sich das vorher vorgestellt hat. Glücklicherweise nesselt das Glibberding nicht so. Und die kleine Bärin hat noch mehr Glück. Linus setzt an und … der Stock bricht. Linus braucht ganz schnell Ersatz. Denn Lisa will Rache. Und Blutwurst. Jetzt flieht Linus.

Der schiefe Windschutz wird heute doch nicht halten, zumal Linus gerade - von seiner Schwester gejagt - dort hineinläuft. Der muss sich sofort wieder aufrappeln, denn Lisa jagt den blöden Quallenwerfer weiter. Die anderen Bären hatten bisher im Windschutz Pause gemacht und gedöst. Aber der nun zusammen gebrochen und droht überspült zu werden. Die großen Jungen gucken den kläglichen Rest an. Der Wiederaufbau lohnt sich nicht, weil die Flut immer dichter kommt. Also weiter in das Landesinnere. Lisa ist auch dafür, nur weg von den Glibberzeug.

Alle suchen inzwischen weiter oben am Strand eine Ausweichmöglichkeit. Linus hat die erste Strandgrasminidüne erklommen und winkt jetzt aufgeregt mit beiden Armen. Da steht doch eine Fahne am Strand. „Das ist ein Trockenklo für Seehunde“. Dort angekommen finden sie einen Sandring um eine hochgestellte Palette mit reingestellten Hölzern. Das macht das ganze ordentlich schwer und stabil. Daneben markiert eine hohe Stange mit flatternder Fahne und orangefarbener Fischerkugel die Strandburg. Die hat Linus schon so fast von der Wasserkante gesehen, auf dem ersten Hügel halt. Und das soll ein jetzt Pinkelplatz sein? Lisa rümpft die Nase und zieht hörbar die Luft ein. Sie riecht zum Glück nichts von diesem Trockenklo für die Meeresköter.

In Sichtweite zur Fahne errichten die Bären ihr nächstes Lager. Der Windschutz muss natürlich neu aufgestellt werden. Damit er diesmal nicht wieder sofort zusammen fällt, wird diesmal eine eigene Sandburg um die Stoffwand gegraben. Die kleine Bären bauen mit und Linus wirft im hohen Bogen den Sand auf den Wall. "Das muss man so machen, damit er sich gut verteilt und die Burg schön gleichzeitig wächst." Wenig später ist Marie ein Streuselkuchen. Sie hat die einzigartige Gabe, immer dort zu stehen, wohin der Sand fliegt. Zuhause in der Sandkiste oder hier, wo der der weltbeste Sandverweher wie eine Besessener arbeitet. Anna glaubt aber, dass die kleine Bärin ein noch bessere Pfützensucherin ist. Doch das Talent wird gerade nicht gebraucht, das Meer können sie von hier aus noch sehen und sonst ist der Strand trocken.

"Marie ist schon wieder eine Sandkugel." Linus ist begeistert und hat sofort eine neue Aufgabe für seine mächtigen Grabtatzen entdeckt: „Au ja! Jetzt sanden wir noch Kaninchen ein.“

Die Sandkugel schüttelt sich und spuckt noch ein wenig Knirschkram aus, der sich in den Mund gedrängelt hat. Heulen kann Marie auch später. Jetzt hilft sie erst einmal Linus mit großen Schaufelpfoten den Strand aufzuwirbeln. Der segelt dabei auch tatsächlich nicht nur nach oben. Einiges fliegt sogar in Richtung des kleinen Schlappohrs, das bei Lisa sitzt. „Anna, die werfen mit Sand.“

Kleine sandige Bären laufen wenig später zum Meer. Nachdem die wilden Sandwerfer den Strand gut durchgelüftet haben und verschüttete Kuscheltiere unter Protest an den Schlappohren aus den frischen Pudersandschichten befreit worden sind, gehen alle zusammen schwimmen. Denn die Großen passen doch besser auf die Kleinen auf. Kaninchen muss dafür auf die anderen Sachen aufpassen. Die kurzen Bären müssen sich schon durch die herankommenden Wellen kämpfen. Schnell ins Wasser, den wer zaudert, verliert. Dann ist das Wasser so kalt, dass der arme Frostköttel nie einen nassen Bauchnabel bekommt. Sie stürzen ins Wasser, das unter ihren Füßen dabei hoch spritzt, dann waten sie voran, bis sie die Arme hochnehmen müssen, um weiter zu kommen. Oder man paddelt wie Linus mit wilden Pfotenkreisen voran. Das spritzt gar fürchterlich und danach sind alle anderen auch nass. Immer wenn eine Welle kommt, trägt sie die Bären ein Stück nach oben, wenn man sich rechtzeitig vom Boden abstößt. Heute ist die Brandung aber schon so stark, dass die rollenden Wasserberge eine kleine Marie immer wieder beinahe umzureißen. Lausebär nimmt den Wasserfloh an die Hand. Die kleine Bärin juchzt. Wenn jetzt eine große Welle kommt, lässt sie sich einfach reinfallen. Der Wellenkamm nimmt sie mit, bis sie der große Bär wieder ran zieht und in die Luft hebt und langsam absetzt, bis sie wieder stehen kann.

Linus und Lisa müssen dafür hüpfen, um in den Wellenbergen nicht unterzutauchen. „Das ist aber 'ne Menge Arbeit,“ ächzt Lisa und verpasst den nächsten Sprung. Schon platscht die nächste Schaumkrone ihr mitten ins Gesicht. Sofort schmeckt der ganze Mund salzig. Sie prustet und spuckt, aber der scharfe Geschmack will nicht weichen. „Kaninchen hat Schwein, dass es am Strand geblieben ist. Es ist doch ein Süßwasserlangohr.“ Als Lisa vor Aufregung auch noch den nächsten Wellenhüpfer vergisst, muss sie wieder Salz spucken: „Kann man diesen blöden Salzwellen nicht auch anders ausweichen?“ Ein dunkler Bärenkopf mit Kappe taucht neben ihr in den Fluten auf: „Klar doch - lass dich auf dem Wasser treiben.“ Howard legt sich auch sofort auf dem Rücken flach auf das Wasser und zeigt den Kleinen einen toten Bären im Meer.

Bei den Wellen ist es aber nicht ganz einfach, so ruhig liegen zu bleiben. Also schwimmt Howard mit Linus etwas weiter raus, wo der Wellengang noch ruhiger ist. Lausebär folgt den beiden mit Marie auf den Schultern. Hier fällt der Boden nur sanft ab, so dass der große Bär noch lange mit den Füßen auf dem Grund stehen kann.

Anna und Lisa kehren lieber um und setzen sich zum Binnenkaninchen auf das Handtuch am trockenen Sandstrand. Da draußen muss Howard dem kleinen Petz noch mal den toten Bären in Rückenlage zeigen. Aber das reicht einem nautischen Genie noch lange nicht. Linus will eine wirklich erstklassige Wasserleiche auf dem Bauch sein. Wenig später muss der Kleine prustend aufgeben, weil er so doch keine Luft bekommt. Der große Bär nimmt ihn lieber ins Schlepp, bevor das weltbeste Treibgut ganz untergeht. Nachdem Linus wieder Luft bekommt, fragt er den Experten mit der Kappe: „Gibt es treibende Totbären auch mit Schnorchel?“ Danach verkündet er: „Auf dem Bauch ist sicher die beste Lage für Treibleichen. Wenn ich das dann kann, werde ich ganz weit raus schwimmen. Also mindestens bis zum nächsten Kontinent da hinten.“ Er zeigt auf die Insel mit Leuchtturm am Horizont, deren Schemen sich so flach über dem Wasser gerade eben im Dunst abzeichnen.

Danach müssen kleine Bären sich wegen der Sonnenstrahlen wieder anziehen. Zum ersten Picknick am Strand gibt es zu den Stullen wieder Früchtetee aus Bärenfrüchten: Himbären, Heidelbären und Brombären. „Das sind holländische Brummbären.“ Kleine Leckermäule wollen Ihren Tee natürlich mit Honig. „ Ich bin heute ganz getränkelig,“ verkündet Linus. „Nasshungrig,“ schnappt Lisa. „Das auch!“ Auf jeden Fall sind kleine Bären heute sehr durstig und schnell ist die Thermoskanne leer. So viel Tee will nicht gern herumspringen, in Bärenbäuchen schwappen oder Sandberge versetzen und wenig später schlafen die Kurzen erschöpft im Schatten des Windschutzes.

Lausebär und Howard nutzen die freie Zeit und stellen sich auf die nächste Erhebung mit Dünengrasbuschel. Sie üben den Holzblick. Dabei beratschlagen die beiden mit großen Pfotengesten, ob die Theorien auch stimmen. Wo ist hier das Holz? Gibt es Pricken? "Da ist doch schon eine Latte!" Sie laufen los und ziehen noch schnell ein Brett vom Spülsaum weiter auf den Sand, damit es kein Raub der See wird. Aufgeregt laufen sie über den Strand und stellen dabei alle Fundhölzer, die unterwegs aus dem Sand ragen oder flach in dunklen Senken liegen, aufrecht hin.

Linus blinzelt verschlafen unter seiner Decke hervor. Er sieht Lausebär und Howard über den Strand eilen. Und immer, wenn sie sich bücken, stecken sie danach eine senkrechte Markierung in den Strand. Wenig später ist der kleine Bär aufgesprungen und saust zu den großen Jungen Er tippt auf einen Hindernislauf. Die beiden schütteln nur den Kopf. „Was ist es denn dann?“ „Ein Geheimnis!“ blinzelt Howard ihm mit Verschwörermiene zu. Kaum zu glauben, aber selbst dem nautischen Fachbären wollen die Jungs nichts verraten. Linus ist entrüstet: „Ich bin doch Experte, ich muss das wissen!“ Die Jungs sagen trotzdem nichts. „Warum?“ „Weil es ein Geheimnis ist.“

Dennoch erzählt Linus danach Anna ganz genau, was hier überhaupt los ist. Das sind sicher Seezeichen für Flachwasserpiraten oder Strandräuber. Oder so etwas ähnliches. Doch bevor der nautische Fachbär das noch genauer erklären kann, wird es Zeit zurückzugehen.