1.09.2011

Der Titel - die Langfassung

Inselzeit. Das passt.“ Anna hat das schon mal mit ihrem Fischkugelschreiber hingeschrieben. Zufrieden legt die große Bärin das Reiseandenken, das ihr wegen der schmeichelnden Form gefallen hat, beiseite. Marie greift schon danach, weil der Schaft so vorwitzig blau und türkis in der Sonne glitzert. Doch ihr großer Bruder ist schneller. „Das will doch keiner lesen,“ erhebt Lausebär Einspruch und setzt den Stift an. „Da muss ein richtiger Titel her. So etwas wie: Die salzigen Tage des Sommers.“ Und - zack - geht ein kräftiger Strich durch Annas 'Inselzeit'. Doch bevor der Stift dafür die salzigen Ta...schreiben kann: „So klingt es immer noch viel zu dröge,“ mault Howard. „Strandpiraten auf Zeit. Das wird ein Reißer.“ Linus vermisst das Abenteuer und außerdem hätte er gerne noch extra Freibeuter dabei ... oder noch besser: „Die Rückkehr von Grobis goldene Husaren.“ „Das hat doch nichts mit dem Inhalt zu tun,“ Anna geht das jetzt zu weit. Es ist doch nur eine kleine Insel vor der Küste. Der kleine Bär beharrt auf den wilden Reiterhorden: „Das merken die Leser doch erst viel später. Und dann ist es auch schon viel zu spät.“ Lisa schüttelt den Kopf. Wenn sie endlich jemand fragen würde, es müsste 'Unter Brüdern' heißen.

Was man wissen sollte, bevor es losgeht

Statt einer Inhaltsangabe muss Lisa hier etwas klarstellen. Denn alle lesen immer erst den Text auf der Rückseite eines Buches, bevor sie drinnen weiterlesen. Deshalb, bevor es losgeht, vorab ein paar wichtige Dinge:
Sie, Lisa, ist eigentlich die wichtigste Person der ganzen Geschichte. Die kleine Bärin kann zwar noch nicht selber lesen, aber weiß doch schon eine ganze Menge. Und wenn sie nicht aufpasst, kommt immer alles durcheinander.


Ihr hilft Kaninchen, ihr stilles Kuscheltier, das immer dabei ist und so lange Ohren hat. Die braucht es auch, weil es genau zuhören und noch viel lernen muss.



Aber nicht unbedingt von Lisas fast gleich altem Bruder Linus, der ein kleiner Besserwisser ist. Deshalb mischt er sich überall vorlaut ein. Und ist immer ein weltbester „Irgendwas“. Auf jeden Fall ist er eine weltbeste Nervensäge.


Ihr älterer Bruder Lausebär heißt nur so. Denn eigentlich ist er so vernünftig, wie ein großer Junge nur sein kann. Nur leider muss die kleine Bärin immer wieder feststellen, dass große Brüder keine Ahnung von kleinen Schwestern haben und dabei so schwer von Begriff sind.




Dann ist da noch ihre große Schwester Anna. Die schreibt sich oft lange Listen, weil sie doch alles organisieren muss. Große Schwestern sind nämlich dafür gemacht, rechtzeitig da zu sein und zu helfen. Nur schaffen sie das nicht immer.



Kleinere Schwestern dagegen müssen erst mal wachsen. Um selber große Schwestern werden zu können. Marie ist Lisas kleinere Schwester. Sie hat noch keine Ahnung von gar nichts und kann froh sein, dass sie wenigstens ihre Windeln los ist. Natürlich kann sie auch nicht lesen, plappert aber schon eifrig mit. Und wenn sie still ist, klappert ihr Holzanhänger.

Nun fehlt noch Howard. Der große Bärenjunge hat die ganze Zeit, auch wenn er schlafen geht, eine Kappe auf dem Kopf. Er ist der beste Freund von Lausebär und fast so vernünftig. Weil er und Lisas großer Bruder immer alles zusammen machen, gehört er eigentlich schon zur Familie. Und er kennt wirklich tolle Geschichten. Vielleicht sind sie auch beinahe wahr.

So, jetzt ist Lisa fertig und die Geschichte kann beginnen...

Kapitel 1: Große Erwartungen

„Juhuu! Jetzt geht´s los.“
Kleine Füße trappeln über das Parkett.
„Es geht los. Es geht looos. Es geht endlich looooos.“
Schon seit Tagen wartet Lisa auf die große Reise. Seit sie gehört hat, dass es dieses Jahr auf eine Nordseeinsel geht, kann sie es kaum aushalten. Jeden Tag die gleichen Fragen: „Wann fahren wir?“ „Soll ich schon mal packen?“ „Wieso müssen wir warten?“ „Kann man das Zimmer nicht schon früher haben?“ „Was heißt buchen? Heißt das wegen der Bäume so? Kann man Zimmer auch fichten oder tannen?“ „Wie, das Zimmer ist jetzt noch belegt? Vielleicht wollen die Zimmergäste schon weg und trauen sich nur nicht. Ruf doch da mal an.“
Und jeden Tag soll sie warten. Wie blöd!




















Aber jetzt hat sie einen Koffer gesehen. Und Koffer bedeutet Urlaub. Also: „Es geheeet loohoooos! Jippiih jeheh ...“
Mit Indianergeheul rennt Lisa durch die Wohnung, bis sie Lausebär an der Werkzeugkiste trifft. Er ordnet Werkzeug und verpackt Nägel nach Größen in kleine Plastikkästen. Sicher kennt ihr großer Bruder die wichtigste Nachricht des Tages noch nicht: „Es geht los. Wir fahren auf die Insel.“
Bevor Lausebär etwas dazu sagen kann, ist die kleine Bärin schon weiter. Kopfschüttelnd sortiert er weiter Nägel und sucht dann die Seilspanner.















Sein bester Freund Howard wollte ihm eigentlich helfen. Aber kaum hat er festgestellt, dass Heringe fehlen, ist er los, sie zu besorgen.
„Heringe haben die an der Küste doch selber. Kaninchen, wieso muss man seine Fische mitbringen?“ Doch Kaninchen, das an Lisas Pfote durch die Wohnung fliegt, schweigt. Und Lisa hat jetzt keine Zeit, die Frage zu klären. Denn es wird ein richtiger Bärenurlaub mit allen. Mit Linus und Lausebär. Mit Anna, Marie und Howard. Natürlich mit Kaninchen. Und mittendrin sie. Also sputen, endlich wird gepackt.
„Die Jacke muss mit und die Sandförmchen. Die Hemden, die Schaufel, ein Badetuch und... Ach am besten alles.“ Lisa hängt kopfüber im Schrank und wühlt in ihren Sachen. Stück für Stück zerrt sie heraus und wirft es hinter sich. Sie geht an die Spielkiste und stapelt deren Inhalt auf den neu entstandenen Berg in der Zimmermitte. Kaninchen sitzt stumm neben dem Durcheinander. Von Zeit zu Zeit wirft Lisa ein Kleidungsstück so schwungvoll auf den Haufen, dass das Schlappohr darunter begraben wird. Dann wühlt Lisa das Ärmste wieder hervor und setzt es wieder ordentlich hin.









Kaninchen beklagt sich nicht. Kaninchen sagt nie viel, da es das Kuscheltier der kleinen Bärin ist. Dafür sagt Lausebär immer, das es nur ein Beinah-Kaninchen ist, weil es viel zu lange Ohren hat. Eben wie ein Hase. Vielleicht sind sie auch nur so lang geworden, weil Lisa ihre Schmusefreundin immer an den Ohren hinter sich herzieht. Auf jeden Fall hält Lisa Kaninchen immer die langen Lauscher zu, wenn Lausebär das sagt. Denn sonst weiß das kleine Schlappohr am Ende überhaupt nicht mehr, was es eigentlich ist. Dabei ist es doch Kaninchen. Das immer überall dabei ist.
„Du kommst natürlich mit an den Strand. Dann brauchst du auch ein eigenes Badehandtuch.“ Kaninchen bleibt stumm. Aber das macht nichts, denn Lisa plappert ununterbrochen weiter, während sie sucht.


















„Der Fischli, der Windbeutel, der muss auch mit an den Strand. Da bekommt er so richtig viel Wind in den Bauch.“ Schnell zuppelt sie den Windsack aus der Ecke mit den Gartensachen. Natürlich verheddert sich der lange Holzstiel. Ein kurzer Ruck und er ist frei. Nur ihre Gartenschürze ist mitgekommen und hängt mit einem Zipfel noch am Stab. „Die Schürze kann hier bleiben. Aber vielleicht brauchen wir die Harke? Was meinst du, Kaninchen?“ Die Harke also auf den Haufen. Hastig glättet die Bärin noch den verknitterten Fischschwanz am Windsack. Und stopft die Schürze wieder in die Ecke. Das kann doch nicht alles sein. Also weiter.
Schließlich ist der Berg mindestens bärenhoch und Lisa findet keinen Nachschub.
„Das ist jetzt wohl das Wichtigste. Aber weniger geht auch nicht.“
Sie packt mit beiden Pfoten in den Haufen und nimmt so viele Kleider und Spielzeuge, wie sie mit ihren Tatzen tragen kann. Eine Spur von verknüllten Pullovern und Pixi-Büchern hinterlassend trägt sie ihre Beute ins Wohnzimmer. Hier steht aufgeklappt der große Koffer.











Davor stemmt ihre große Schwester Anna die Pfoten in die Seiten und atmet noch mal tief durch. Wie soll da alles rein passen? Sechs Bären haben ja so viel Gepäck. Alle werden sich einschränken müssen. Aber ein Urlaub an der Nordsee hat seine Tücken. Man weiß nie im Voraus, wie das Wetter wird. Der altbekannte Ratschlag, dass es kein schlechtes Wetter gibt, nur falsche Kleidung, hilft nicht wirklich, ihr Problem zu lösen. Denn es bedeutet, dass sie für Sonne und Regen, für kühle Abende, brütende Hitze, sengende Sonne und besonders gegen den allgegenwärtigen Wind für sechs Bären die nötige Kleidung einpacken muss. Dann kommt noch das Spielzeug für die Kleinen. Dazu wollen Howard und Lausebär jetzt auch zusätzlich jede Menge schweres Werkzeug mitnehmen. Wozu brauchen sie überhaupt den ganzen Baukram? Sie hat doch für alle ein richtiges Zimmer gemietet mit festen Wänden, Kochnische und Bad. Und die beiden packen, als müssten sie die Insel noch erschließen und alles neu bauen. Aber seit Tagen kann man mit den Jungens nicht mehr richtig reden. Also, das Werkzeug muss mit.
Sie wird sich eine Packliste schreiben. Mit einer Liste wird es immer einfacher, den Überblick zu behalten. Und ändern kann sie die Liste jederzeit.
Eine riesige, grüne Schnauze schiebt
sich in Annas Blickfeld.



















„Festus freut sich schon ganz doll auf das Meer“, Linus hält ihr sein aufgeblasenes Gummikrokodil vors Gesicht. „Ich werde mit ihm auf den Wellen reiten.“
Seit fest steht, dass es an die See geht, hält der kleine Bär seinen grünen Kumpel unter Luft. Das kostet jetzt zuviel Platz.
„Wenn du Festus mitnehmen willst, müssen wir ihn platt machen.“ Anna schaut mit festem Blick auf Linus, der am Ende des doppelt so großen Reptils hängt. „Keine Panik!“ Schon nestelt Linus am Luftventil des Blastiers herum und beginnt die Luft raus zu pressen. Zum Schluss springt er wild auf dem erschlafften Krokodil herum, bevor er Anna den kläglichen Rest übergibt.
„Hier! Und wenn du den Koffer nicht zukriegst, kann ich auch darauf rumhüpfen.“ Dabei grinst Linus sie so von unten an, dass er wohl enttäuscht wäre, wenn Anna alles ohne Pressen und Stauchen verpacken könnte.

In diesem Moment knallt Lisa die erste Ladung auf den Boden neben Anna.
„Das sind meine Sachen! Den Rest hole ich gleich. Und dann fahren wir los.“
Bevor Anna sie bremsen kann, trappeln die kleinen Bärenpfoten wieder über das Parkett. Zwischen atemlosen „Das ist es jetzt...na fast“ und „Ich muss ja auch...“ oder „Es fehlt nur noch...“ wächst der Berg neben dem Koffer.
Linus sieht mit Anna dem Entstehen eines neuen Mittelgebirges in ihrem Wohnzimmer zu. „Wenn Lisa das alles mitnehmen darf, will ich aber auch meine Autos und die Fähre einpacken.“
Anna sieht jede Hoffnung schwinden. Eigentlich wollte sie keinen Umzug organisieren. Sie muss Lisa bremsen. Und um den kleinen Bären abzulenken: „Linus, schau doch bitte mal nach Marie. Die ist so verdächtig ruhig.“
Glück gehabt, es klappt: Linus kümmert sich um die kleinste Schwester. Er will nur einen kleinen Umweg über die Spielkiste machen.













„So, das ist jetzt wirklich alles. Und Kaninchen ist auch schon hier.“ Lisa atmet nach der vielen Lauferei tief durch und lächelt Anna an.
„Also rein mit den Klamotten, damit wir endlich loskommen. Schnell Anna, hol deine Zahnbürste. Sonst kommen wir erst an, wenn es schon dunkel ist.“
„Das ist viel zuviel, Lisa.“ Anna blickt in ein verständnisloses Bärengesicht. „Wir müssen uns alle beschränken. Für jeden von uns ist das schon so viel Kleidung und natürlich muss ich noch die Strandausstattung dazu stopfen. Das alles in einen einzigen Koffer. Deshalb fange ich auch schon heute mit dem Packen an. Wenn ich - wider Erwarten - alles rein bekomme, geben wir den Koffer morgen am Bahnhof beim Kurierdienst der Bahn auf. Er reist voraus und ist schon da, wenn wir übermorgen losfahren.“
„Übermorgen? Wir fahren erst übermorgen?“
„Seit Tagen sage ich dir, wir fahren am Donnerstag.“
„Das ist doch noch so lange.“
„Ich kann es nicht ändern.“
Lisa zieht einen Flunsch. Nach einer kurzen Pause stellt sie sich auf die neue Situation ein. „Na, hier sind jedenfalls die Sachen, die ich mitnehmen muss.“
„Und ich hab es dir schon gesagt: Soviel geht einfach nicht“, Anna bemüht sich, die Ruhe zu bewahren. Dennoch wird ihr Ton schon etwas schärfer. „Am besten räumst du alles wieder zurück. Ich hole mir dann das, was du wirklich brauchst.“
„Ach Anna, das ist doch blöd. Das muss alles mit auf die Insel. Du wirst alle Sachen nur wieder hierher holen müssen.“ Mit großer Geste entscheidet die Kleine: „Am besten lasse ich es so, wie es ist. Du packst den Koffer und den schnitzigen Rest wieder in den Schrank.“













Mit Kaninchen im Schlepptau rennt Lisa los. Wenn sie erst übermorgen verreisen, hat ja sie noch viel Zeit für andere wichtige Dinge.
„Lisaaa, räum´ deinen Krempel weg!“

Zu spät, kleine Füße trappeln über das Parkett.